zum Hauptinhalt
Agonie im Konsum. „The Raft“ heißt das Bild der Malerin Buket Savci, das am Stand der Sevil Dolmaci Art Gallery zu sehen war.

© Werner Bloch

Contemporary Istanbul: Weiße Wagen vor dem Tor

Die Contemporary Istanbul ist keine typische Kunstmesse. Sie misst den Puls der türkischen Kunst- und Kulturszene - und ist ein politisches Stimmungsbarometer.

Der Abstecher in die Kunstwelt geriet zum politischen Triumphzug. Als Ekrem İmamoğlu , der neue Bürgermeister von Istanbul, vergangene Woche die Contemporary Istanbul besuchte, hörte man Jubelrufe. Wann hat gab es so etwas auf einer Kunstmesse? Und wann hat ein Mann eine solche Messe betreten, in dem viele seiner Landsleute einen Heilsbringer sehen?

Jedenfalls passte es zu dem instagramtauglichen Besuch des Bürgermeisters, dass İmamoğlu, der mit seinem lässig charismatischen Auftreten an den jungen Kennedy erinnert oder an Barak Obama, sich auf der Messe als Kunstsammler outete. „Ich habe bislang rund hundert Werke zusammengekauft, einfach nur so aus Liebhaberei, ohne jede Strategie“, erzählte İmamoğlu beim Mittagessen in kleiner Runde und gab damit den Ton an für die14. und bisher meist beachtete Ausgabe der CI.

Die Contemporary Istanbul mit 73 internationalen Galerien und 510 Künstlern aus 23 Ländern ist, wenn man so will, keine typische Kunstmesse. Vielmehr misst sie der türkischen Kunst- und Kulturszene den Puls, ist aber auch ein politisches Stimmungsbarometer und hat seit ihrer Gründung 2006 Bedeutung für das ganze Land. Gerade jetzt.

Istanbul leuchtet wieder, seitdem Ekrem İmamoğlu, 49, wie durch ein Wunder das Rathaus von Istanbul erobert hat, und das gleich zweimal. Erdoğan hatte die erste Schlacht um das Bürgermeisteramt annullieren lassen. Seitdem spürt man die Erleichterung an jeder Ecke, in den Cafés, auf den Straßen und natürlich auch auf den Gängen der Contemporary Istanbul.

Neben viel Dekorativem und gelegentlichen Verirrungen in Kitschgewitter gab es in diesem Jahr eine dezidierte Öffnung in Richtung erotisch befreite Kunst. Es waren aber auch politisch relevante Arbeiten zu sehen wie die „Peitsche der Gerechtigkeit“ des Künstlers Iz Öztat am Stand der Galerie Pi Artworks. Ein metallenes Tor, eine Art Sicherheitsschleuse, erinnert an die Absperrungen, wie sie die Polizei bei den Gezi-Protesten errichtete. Die Arbeit soll an den späten Triumph der Demokratiebewegung mahnen und ging für 10.000 Dollar an eine große, nicht näher bekannte staatliche Organisation.

Gründer Ali Güreli hielt die Messe gegen Widerstände am Leben

Politisch arbeitet auch die Künstlerin Ardan Özmenoglu. Sie hat ein großes Gemälde aus farbigen Post-its zusammengepuzzelt – ein monumentales Porträt des Staatsgründers Atatürk hoch zu Pferd. „Ich liebe ihn, wir haben ihm alles zu verdanken“, sagte die Künstlerin am letzten Messetag und küsste ihre eigene Arbeit. Die laizistische Republik Atatürks – sie war es, die der jetzige Machthaber durch einen schleichenden islamistischen Putsch unterhöhlen wollte. Doch der scheint jetzt abgesagt.

Die Contemporary Istanbul war immer auch ein Stück Widerstand gegen die autoritäre Regierung; eine tapfere Messe, für die eigentlich schon das Totenglöckchen hätte läuten müssen, wenn sie nicht vom charismatischen Kunst-Impresario und Gründer Ali Güreli immer weitergepeitscht worden wäre. Mal gab es Attacken von Islamisten auf eine Galerie, mal vertrieben Terroranschlägen die Touristen. Zum Glück erfährt die Veranstaltung inzwischen eine massive Unterstützung durch die Stadt Istanbul. „Istanbul und die Messe sind jetzt eins“, verkündete ein strahlender Messeguru Güreli.

Bis 2021 soll auch ein Museum der Stadt Istanbul entstehen

Impulse soll auch die neue tunesisch-französische Messedirektorin Anissa Touati bringen. „Wir wollen raus aus der Türkei-Nische, wir arbeiten zum Beispiel mit der Stadt Marseille zusammen – auch dies eine Stadt am Meer, in der Kulturen zusammenprallen und wo man manchmal nicht genau weiß, auf welchem Kontinent man sich gerade befindet“, sagt die Direktorin und will die Istanbul Contemporary künftig jünger und weiblicher machen.

2019 ist ein bemerkenswertes Jahr für die Kunstszene der Türkei. Eine ganze Serie großartiger Museumsbauten wurde angekündigt, teilweise schon für das nächste Jahr, darunter ein Gemälde- und Skulpturenmuseum. Bis 2021 soll auch ein Museum der Stadt Istanbul entstehen. Dabei will sich der neue Bürgermeister defintiv von der Selbstgefälligkeit und vom Einfluss zahlreicher Privatmuseen absetzen, mit denen sich einige Familien und Unternehmen wie die Koç Holding Denkmäler errichten.

İmamoğlu rückt die Korruption und Klientelwirtschaft der AKP ins Bild

2019 ist aber auch das Jahr, in dem die Kunstmesse Contemporary Istanbul erstmals die Biennale von Istanbul an Bedeutung überflügelt hat. Denn das, was der französische Biennale-Kurator Nicolas Bourriaud unter dem Motto „Der siebte Kontinent“ abgeliefert hat – eine Anspielung auf die Plastikkontinente in den Weltmeeren –, wird von nahezu allen Kritikern als äußert schwach eingestuft. Die einstmals bedeutende Biennale von Istanbul steckt tief in einer Krise.

Der Star der Messe, Bürgermeister Ekrem İmamoğlu, erklärte auf der Contemporary Istanbul, er würde gern als Künstler wiedergeboren werden. Dabei ist er längst Künstler. 1300 weiße Autos ließ er auf einem Parkplatz zusammenstellen. Das Automeer umfasst die weißen Dienstwagen der AKP-Mitglieder und Angestellten der Stadt Istanbul, die zwar auf der Payroll des Bürgermeisteramtes stehen, in Wirklichkeit aber nur Karteileichen sind. Damit hat İmamoğlu die Korruption und Klientelwirtschaft der bisherigen Regierung so messerscharf ins Bild gerückt, wie es schöner kaum geht. Auf der Messe gab es keine bessere Performance- und Konzeptkunst zu sehen.

Werner Bloch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false