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Kultur: Das Auge des Sammlers

Heute morgen um 10 Uhr öffnen sich endlich die Türen der Alten Nationalgalerie für die Öffentlichkeit - zur Wiederaneignung dieses kostbaren Kunstbesitzes den ganzen Dezember über bei freiem Eintritt. Der Enthusiasmus, um nicht zu sagen der Jubel der Festgesellschaft zur Wiedereinweihung am Sonntagvormittag wird sich bei den Besuchern zweifellos wiederholen.

Heute morgen um 10 Uhr öffnen sich endlich die Türen der Alten Nationalgalerie für die Öffentlichkeit - zur Wiederaneignung dieses kostbaren Kunstbesitzes den ganzen Dezember über bei freiem Eintritt. Der Enthusiasmus, um nicht zu sagen der Jubel der Festgesellschaft zur Wiedereinweihung am Sonntagvormittag wird sich bei den Besuchern zweifellos wiederholen. Wo dann der Sehgenuss ins Bildungserlebnis übergehen soll, entsteht der Wunsch nach vertiefender Lektüre. Die Staatlichen Museen wie auch die Verlage haben vorgesorgt - und bieten eine Fülle neuer Publikationen, die der etwas versteckt gelegene Buchladen treppab im Sockelgeschoss ausbreitet.

Frisch überarbeitet liegt der bewährte Prestel-Museumsführer Alte Nationalgalerie vor, das in seinem taschenfreundlichen Hochformat handlichste aller Kompendien ( Prestel Verlag, München, br. 19,80 DM ). Die Restaurierung und den Umbau des bedeutungsschweren Gebäudes auf der Museumsinsel durch das Büro HG Merz hat seitens des Museums insbesondere Bernhard Maaz betreut. Die aufgetretenen Probleme im Umgang mit der historischen Substanz schildert er anschaulich und mit reichem Bildmaterial in seinem Band Die Alte Nationalgalerie. Geschichte, Bau und Umbau ( G + H Verlag, Berlin. 239 S., br. 38 DM ). Auf ein programmatisch bedeutendes Detail der Innenausstattung macht Museumskurator Moritz Wullen aufmerksam: den Bildfries im Treppenhaus, der die deutsche Kunstnation in ihren Meistern veranschaulicht ( "Die Deutschen sind im Treppenhaus". Der Fries Otto Geyers in der Alten Nationalgalerie. DuMont Verlag, Köln. 70 S., br. 16 DM ).

Hinsichtlich der Sammlung an erster Stelle steht natürlich der Katalog der ausgestellten Werke ( Nationalgalerie Berlin: Das XIX. Jahrhundert. E.A.Seemann Verlag, Leipzig. 471 S. br. 39,90 DM, CD-ROM 24,90 DM ). Auf knappe Einleitungsaufsätze zur Idee der Nationalgalerie und zur Sammlungsgeschichte folgt die - alphabetisch nach Künstlern geordnete - Einzelbeschreibung samt farbiger Abbildung aller 541 gezeigten Gemälde und Skulpturen. Besonders wertvoll sind die Angaben zur Provenienz, die die höchst unterschiedlichen Phasen der Erwerbungstätigkeit erkennen lassen. Daneben stehen allerdings die Verluste durch den Zweiten Weltkrieg und die sowjetischen Beschlagnahmungen als "Trophäenkunst". Die Dokumentation der Verluste der Staatlichen Museen zeigt in Band II: Nationalgalerie ( Staatl. Museen, 156 S., br. 32 DM ) zwar meist zweitrangige Arbeiten, die vielfach an Ausleihorten wie Reichsministerien oder Botschaften verloren gingen, aber auch Hauptwerke ersten Ranges, von denen sich etliche in Moskau nachweisen lassen.

Die Alte Nationalgalerie kann längst nicht mehr die gesamte Kunst seit 1800 aufnehmen. Die Nationalgalerie als Institution teilt sich mittlerweile in drei Abteilungen, neben dem Haus auf der Museumsinsel die Neue Nationalgalerie und den Hamburger Bahnhof. Direktor Peter-Klaus Schuster hat den definitiven Band mit dem ebenso definitiven Titel Die Nationalgalerie herausgegeben, der den Zusammenhang der Sammlungen erläutert und einen Querschnitt daraus in großformatigen Abbildungen greifbar macht ( DuMont Verlag, Köln. 448 S., Ln. 98 DM ).

In diesem "Prachtband" findet sich ein Aufsatz aus der Feder von Thomas Gaehtgens, der sich seit Jahren mit der Geschichte des Mäzenatentums beschäftigt, über "Die Nationalgalerie und ihre Stifter". Die Botschaft an die Heutigen ist klar: anzuknüpfen an eine glanzvolle Tradition bürgerlichen Engagements. In diesem Zusammenhang verdient ein soeben erschienener Sammelband aus dem von Gaehtgens geleiteten Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris höchstes Interesse, der unter dem Titel Die Moderne und ihre Sammler die Französische Kunst in deutschem Privatbesitz vom Kaiserreich zur Weimarer Republik zum Gegenstand hat ( hrsg. v. Andrea Pophanken u. Felix Billeter, Reihe Passagen Bd. 3. Akademie Verlag, Berlin. 425 S., geb. 97,40 DM ). Gebührt der Berliner Nationalgalerie das Verdienst, als überhaupt erstes Museum Werke von Manet und Cézanne erworben zu haben, so bedurfte diese Hinwendung zur französischen Moderne doch eines Umfeldes von aufgeschlossenen Sammlern. Nicht nur in der Reichshauptstadt: Namen finden sich von Bremen oder Breslau bis Weimar oder Wiesbaden. Fast durchweg wurden die Sammlungen im Krieg zerstreut, zerstört oder hernach in die Sowjetunion verbracht - wie jene der Berliner Sammler Gerstenberg, Koehler und Krebs: Sie hatten ihre Schätze der Nationalgalerie zur Aufbewahrung anvertraut.

So geht die Freude über die nach sechs Jahrzehnten wiedervereinten Bestände der Alten Nationalgalerie einher mit dem Bewusstsein unwiederbringlicher Verluste. Mehr als jedes andere Museum ist die Nationalgalerie über den Kunsttempel hinaus ein Gedächtnisort deutscher Geschichte.

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