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Trotz großem Bewegungsdrang war der Schwimmunterricht für Alison Bechdel eine Qual.

© Alison Bechdel

„Das Geheimnis meiner Superkraft“: Alison Bechdel gerät in ihrer neuen Graphic Novel mächtig ins Schwitzen

Yoga, Karate, Radfahren, Joggen – ihr ganzes Leben hat US-Comic-Star Alison Bechdel Sport getrieben. In ihrer neuen Graphic Novel zeichnet sie ihre Fitnessbiografie. Und noch einiges mehr.

Einfach loslaufen, weiter und weiter. Als Alison Bechdel Mitte der siebziger Jahre mit dem Joggen beginnt, gibt es noch keine Vorstellung von diesem Sport. Die Jugendliche wird belächelt, wenn sie durch ihren Ort im ländlichen Pennsylvania rennt, man ruft ihr hinterher „Da lang isser“, als bräuchte es stets einen externen Grund, sich auf diese Weise fortzubewegen.

Die 1960 geborene Zeichnerin, die mit den „Dykes to watch out for“-Comics und dem darin beschriebenen feministischen Filmtest bekannt geworden ist, wird zunächst unbewusst zu einem early adopter der Fitnessbewegung, deren Aufstieg zur heutigen Allgegenwärtigkeit sie quasi live mitverfolgt und vor allem mitgemacht hat.

Und so blickt sie in ihrer unlängst auf Deutsch erschienenen autobiografischen Graphic Memoir „Das Geheimnis meiner Superkraft“ nicht nur auf die über die Jahrzehnte immer wieder wechselnden Ausdrucksformen ihres eigenen Bewegungsdrangs, sondern zeichnet nebenbei auch eine kleine Kulturgeschichte des individuellen Freizeitsports – das Spektrum reicht von alpinen Skifahrten über Hometrainer-Einheiten und Yoga-Sessions bis hin zu langen Rad- und Bergtouren.

Den Fitnesswahn von oben betrachen: Alison Bechdels Graphic Novel „Das Geheimnis meiner Superkraft“.
Den Fitnesswahn von oben betrachen: Alison Bechdels Graphic Novel „Das Geheimnis meiner Superkraft“.

© Alison Bechdel

Nach ihrem Studium beginnt Bechdel in New York, wohin sie mit ihrer damaligen Geliebten gezogen war, mit Karate-Training in einem feministischen Kampfsportcenter. Die strenge Meisterin verlangt ihr viel ab, oft hat Bechdel Muskelkater und blaue Flecken. Doch der Effekt ist berauschend: „Ich hatte grenzenlose Energie, eine ganz neue Kraft im Oberkörper, aus Hindernissen wurden Sprungbretter“, schreibt sie und illustriert das mit Panels, die sie beim Überspringen von Geländern und beim Herumturnen an Metro-Haltegriffen zeigen.

Alison Bechdel: Das Geheimnis meiner Superkraft. Graphic Novel. Übersetzt von Thomas Pletzinger und Tobias Schnettler, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023, 240 S., 30 €.
Alison Bechdel: Das Geheimnis meiner Superkraft. Graphic Novel. Übersetzt von Thomas Pletzinger und Tobias Schnettler, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023, 240 S., 30 €.

© Kiepenheuer & Witsch Verlag/Kiepenheuer & Witsch Verlag

Kraft, Energie und Euphorie, die sie auch bei anderen Sportarten findet, sind ein großer Motivator aller Sporttreibenden. Für Alison Bechdel geht es aber darüber hinaus auch um „innere Transformation“. In diesem Streben sieht sie sich in der Gesellschaft diverser Schriftsteller*innen, deren Aktivitäten und Werke sie in die nach ihren eigenen Lebensjahrzehnten gegliederten Kapitel einfließen lässt. Mehrmals greift sie etwa Jack Kerouacs „Dharmajäger“ und die in dem Roman verarbeitete Bergwanderung greift auf – und versucht sogar, sie mit ihrer Partnerin nachzustellen.

Der Bezug auf andere Bücher und ihre Autor*innen ist ein Markenzeichen von Bechdel. Ging sie damit in ihrer Debüt-Graphic-Novel „Fun Home“ (2006) über ihren Vater noch relativ moderat um, nahmen bei „Wer ist hier die Mutter?“ (2012) vor allem die Schriften des Londoner Kinderarztes und Psychoanalytikers Donald Winnicott immens viel Raum ein und waren zentral für die gezeichnete Aufarbeitung der Beziehung zu ihrer Mutter.

Diesmal sind neben Kerouac auch der englische Romantiker Samuel Taylor Coleridge und die US-Schriftstellerin Margaret Fuller wichtige Nebendarsteller*innen, wobei diese Abschweifungen in „Das Geheimnis meiner Superkraft“ weniger zwingend und erhellend wirken als bei den Vorgängerwerken.

Was jedoch wieder beeindruckt und mitreißt, ist Bechdels schonungsloser Blick auf sich selbst und ihre Familie. So spart sie weder ihren Alkoholkonsum noch schwierige Beziehungsdynamiken oder selbstsabotierende Arbeitspraktiken aus, die in panischen Nachtschichten kurz vor der Deadline kulminieren. Wie schon bei „Wer ist hier die Mutter?“ ist die Entstehung des Bandes – wenn auch in etwas geringerem Ausmaß – selbst Teil der Handlung.

Die US-Comic-Zeichnerin und Autorin Alison Bechdel.
Die US-Comic-Zeichnerin und Autorin Alison Bechdel.

© Verlag Kiepenheuer & Witsch/Elena Seibert

Besonders schön: Die Lesenden erfahren, wie es dazu kam, dass mit „Das Geheimnis meiner Superkraft“ erstmals eine umfangreich kolorierte Graphic Novel von Alison Bechdel erscheint. Ihre Ehefrau Holly Rae Taylor, der das Buch gewidmet ist, hat Farbe in den bisher höchstens einmal mit blassroten Akzenten versehenen Kosmos von Bechdel gebracht.

Wie die beiden ähnlich sportbegeisterten Frauen zunächst in einer polyamourösen Konstellation und schließlich als Paar zusammenfinden, erzählen die letzten beiden Kapitel. Sie haben einen hohen Schmerz-und-Drama-Anteil, aber durch sie fällt auch der Lichtstrahl der Erkenntnis, dass Präsenz am Ende vielleicht erstrebenswerter ist als Transzendenz.

Hoffnungsvoll stimmt zudem, dass es Bechdel offenbar gelungen ist, ein im Buch beschriebenes Muster hinter sich zu lassen, bei dem auf die Publikation ihrer Werke regelmäßig die Trennung von ihrer aktuellen Partnerin folgte. Sie und Taylor leben immer noch zusammen in Vermont und sind verheiratet.

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