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Kultur: Das Rad neu erfinden

Alles über das Readymade, in der Galerie Dreher.

Ein Fahrrad, „Modell Shanghai“, wirkt wie kurz in der Galerie Dreher geparkt. Doch natürlich ist das Fahrrad mit all seinen Alltagsspuren im Kunstkontext kein Fahrrad mehr, seit Marcel Duchamp 1913 ein Speichenrad auf einen Küchenhocker montierte. „Nach wie vor ein Quantensprung“, sagt Anselm Dreher und nimmt das Geburtsjahr der epochalen Bastelarbeit zum Anlass für die Ausstellungstrilogie „A Century of Readymades“.

Das Shanghai-Fahrrad gehört zu John M. Armleders Installation „Don’t do it!“, das 2012 in der Berliner Messeausstellung abc zu bestaunen war: ein riesiges Regal voller Kunstgeschichte. Mit seinem typisch hohen Sinn für Unsinn versammelt der Schweizer Konzeptkünstler Anspielungen auf Man Rays Bügeleisen „Cadeau“, Warhols Brillo-Box oder Allan Kaprows Autoreifen – Readymades für das 20. Jahrhundert und auch das einundzwanzigste.

Eine wahre Lust, die Installation auf ihre zündenden Kurzschlüsse abzuklopfen. Fast schade, dass in der Ausstellung nur Details zu sehen sind. Die verbleibende Auswahl allerdings verwandelt der Galerist listig in einen subversiven Parcours. Verteilt über drei Räume und flankiert von Künstlern wie Pierre Granoux, Sherrie Levine, Rainer Ruthenbeck oder Heimo Zobernig. In Karin Sanders maßstabsgetreuem „Hühnerei, poliert“ spiegelt sich die Deckenbeleuchtung, während Matthew McCaslin ganz ähnliche Leuchtstoffröhren an der Wand und auf dem Boden zum „Road Runner“ formiert, der durch Raum und Zeit schreitet.

„Aus Armleders Storage-System habe ich eine in sich funktionierende Allround-Skulptur gemacht. Das ist dann die Leistung des Kurators“, sagt Anselm Dreher und lacht laut auf. Die Positionen von Galerist oder Kurator seien bei ihm ohnehin fließend. Allemal spürbar bleibt der Spaß am Konzipieren von Ausstellungen, die nicht selten zum Gedankensport werden und in den besten Ausgaben das Kuratieren selbst zum Kunststück erheben. Schließlich hat der gebürtige Berliner einst Kunst studiert.

Mit dem Verzicht auf Armleders Regal fehlt nun zwar der Verweis auf die „Wirtschaftswerte“ von Joseph Beuys. Doch der ist mit dem Multiple „Ich kenne kein Weekend“ von 1972 präsent: eine Reclam-Ausgabe von Kants „Kritik der reinen Vernunft“ wird samt Maggi-Flasche in einem schwarzen Koffer präsentiert. Womit wir wieder bei Duchamp wären, dessen Schweigen Beuys bekanntlich überbewertet fand und der mit seiner „Schachtel im Koffer“ als tragbarem Künstlermuseum hier eine durchaus pikante Referenz präsentiert. Drehers ganz persönliche Verneigung vor dem Erfinder der sozialen Plastik ist eine Rekonstruktion der Erinnerung: Beuys’ „Rote Fahne“ hatte 1974 auf der Art Cologne nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Mit dem Einverständnis des Verlegers Jörg Schellmann lässt der Galerist das Revolutionssymbol auf der Spielzeugeisenbahn kreisen, was auf dem rauen Holzpodest ein eigenwilliges Rumoren erzeugt. Eine Art akustisches Readymade. Daneben verkündet Lawrence Weiner: „What is set upon the table sits | upon the table.“ Wer wollte dem widersprechen. Weiners Fahrrad-Edition gibt es übrigens im Internet für 3000 Dollar, die Preise in der Ausstellung auf Anfrage. Michaela Nolte

Galerie Anselm Dreher, Pfalzburger Straße 80; bis 26. Juli. Di–Fr 15–18 Uhr

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