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Endloser Horizont. Die mongolische Landschaft hat Wang Quan’an zu seiner Geschichte inspiriert.

© Wang Quan’an

„Öndög“ im Berlinale-Wettbewerb: Das Schweigen der Steppe

An dieser Weite prallt jede dramatische Regung ab: Wang Quan’ans Komödie „Öndög“ spielt in der leuchtenden Landschaft der Mongolei.

Der Horizont ist die Linie, die den Himmel von der Erde abgrenzt. In der inneren Mongolei scheint sie unendlich zu sein. Ein ganzes Land wie ein einziger Horizont. In seelenruhigem Cinemascope, versteht sich. Als höchste Erhebung, ja als Landmarke dient ein majestätisch einherschreitendes Trampeltier, zwischen dessen Höckern eine Hirtin reitet. Meistens. Manchmal, wenn die einzige Ansiedlung weit und breit in den an Suchbilder erinnernden Blick kommt, qualmt noch irgendwo ein Kraftwerksschlot. Aufregung? Fehlanzeige. An dieser Weite prallt jede dramatische Regung ab. Nur der Wind weht mal stärker, mal schwächer.

Wang Quan’ans Komödie „Öndög“, die wie ein Krimi beginnt, springt von einer toten zu einer lebenden Frau. Die Tote liegt nackt im Grasmeer und soll über Nacht von einem Polizisten (Norovsambuu Batmunkh) bewacht werden. Sein Handy vertreibt ihm zwar die Langeweile. Zur Abwehr von Hunger, Kälte und einer am Leichnam interessierten Wölfin taugt es weniger.

Da muss der einzige Mensch im Umkreis von hundert Kilometern helfen, die Hirtin (Dulamjav Enkhtaivan). Sie bringt dem jungen Beamten im Schnellkurs Rauchen, Saufen und Flirten bei. Der Beischlaf in nächtlicher Steppe erweist sich als ein vom Trampeltier beargwöhnter Akt, der zugunsten überlebenswichtiger Maßnahmen noch eben schnell beendet wird. Ruckzuck, hat die Hirtin die Flinte in der Hand und erlegt im Dunkeln die knurrende Wölfin. Lagerfeuerromantik sieht anders aus.

Ohne vorgefertigtes Drehbuch in die Mongolei

Dass der chinesische Regisseur mit mongolischen Vorfahren gewiss keine erhabene Stilisierung eines stolzen, aber von der Moderne bedrängten Nomadenvolks im Sinn hat, hat Wang Quan’an bereits 2007 bewiesen. Da gewann er mit dem ebenfalls von dieser leuchtenden Landschaft und der wortkargen Lakonie ihrer Bewohner durchtränkten Drama „Tuyas Hochzeit“ den Goldenen Bären. Seit 2002, als er im Forum seinen Erstling „Yue Shi“ zeigte, ist der 1965 geborene Regisseur Stammgast auf der Berlinale, saß in der Jury, zeigte im Wettbewerb zwei weitere jeweils mit Silbernen Bären ausgezeichnete Filme.

Allerdings wünscht man sich Wang Quan’ans langjährigen Kameramann Lutz Reitemeier, den er in Berlin kennenlernte, zurück. Sein Nachfolger Aymerick Pilarski vermag es zwar, blaugraues Gewölk und gelbes Gras zu abstrakten, wie schraffiert wirkenden Totalen zu verdichten. Aber auf Dauer macht die wackelnde Handkamera den Zuschauer seekrank.

Nach einer mehrjährigen Schaffenspause war Wang Quan’an ohne vorgefertigtes Drehbuch in die Mongolei gefahren. Zu der Geschichte haben ihn die Drehorte inspiriert. Entsprechend reduziert und fragmentarisch fällt sie aus. Wobei „Öndög“ seine Heldin nicht nur beim Kalben einer Kuh, sondern auch beim Abholen eines Schwangerschaftstest begleitet.

Angenehm selbstverständlich erzählt der Film dadurch, genau wie durch die Satellitenschüssel vor der Jurte, dass selbst die Steppe kein Hort der Archaik mehr ist. Seltsam nur, dass eine hartnäckige Junggesellin wie die Hirtin, die die Leute nur „Dinosaurier“ nennen, ihre Schafe nicht selber schlachtet, sondern dafür die Hilfe ihres Nachbarn braucht.

Der Hirte (Aorigeletu) kommt mit dem Moped angeknattert, sobald sie Hilfe anfordert. Und weil er doch mehr als nur ein Kumpel ist, bringt er ihr eines Tages ein Öndög, ein versteinertes Dinosaurier-Ei, mit. Ein Mitbringsel, das durchaus metaphorisch zu verstehen ist. Im Gegensatz zum Film, der im Angesicht der Leere weder philosophiert, noch projiziert oder poetisiert, sondern genau das erzählt, was er zeigt.

9.2., 9.30 Uhr (HdBF), 12.15 Uhr und 18 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 17.2., 12.45 Uhr (Berlinale-Palast)

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