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Schöne neue Plastikwelt. Android-Figuren vor „Building 44“ auf dem Google-Campus in Mountain View, Kalifornien.

© Dan H/Flickr, CC-Lizenz

Dave Eggers arbeitet sich am Internet ab: Der Circle: Google, Apple, Facebook, klapp, klapp, klapp

Im Bestseller „Der Circle“ attackiert Dave Eggers die Weltherrschaft der Netzkonzerne. Die Begeisterung über diesen schlichten Roman verwundert.

Es war natürlich das Fachblatt für die Internetgemeinde, das hippe Technologie-Magazin „Wired“, das dem jubilierenden Hype um Dave Eggers’ Roman „Der Circle“ nicht recht glauben mochte, als dieser vor gut einem Jahr in den USA erschien. Gleich zu Beginn seiner Rezension merkt der „Wired“-Kritiker an, dass die Internetskeptiker Eggers’ Roman über ein sehr an Google erinnerndes, die Weltherrschaft anstrebendes Unternehmen als grandiose Satire auf die hässliche neue Internetwelt lesen würden. Dass der Roman aber für Menschen, die Bloggen, Twittern oder Facebooken inzwischen für so lebensnotwendig halten wie Essen und Trinken, doch ein wenig unmusikalisch klingen könnte.

Man braucht allerdings nicht einmal ein Digital Native oder ein besonders aktiver Social-Media-Nutzer zu sein, um „Der Circle“ nicht besonders großartig zu finden – und sich über die nun auch hierzulande einsetzende Begeisterung zu wundern: „wichtigstes Buch des kommenden Bücherherbstes“ tönte es vergangene Woche aus der „FAZ“, und auch der „Spiegel“ feierte Eggers’ Dystopie schon als „bisweilen brillant“. So ist das halt: Wenn es ums Internet geht, scheint Wichtigkeit und Brillanz fast automatisch garantiert, da regiert der Romanstoff, da spielen literarischer Zugriff, Stil und Form kaum eine Rolle. Zumal man es bei Dave Eggers mit keinem x-beliebigen Science-Fiction- oder Krimi-Schreiber zu tun hat, sondern mit einem der angesehensten Autoren der jüngeren Schriftstellergeneration.

Der 1970 geborene Eggers ist Verfasser von so unterschiedlichen Büchern wie „Weit gegangen“ (über die Flucht eines jungen Sudanesen in die USA) oder „Zeitoun“ (behandelt die Terrorismushysterie in den Staaten nach 9/11). Er betreibt einen unabhängigen Verlag, ist Herausgeber mehrerer Literaturzeitschriften und Mitbegründer eines gemeinnützigen Schreib- und Förderzentrums.

Das fiktive Unternehmen ist ein Amalgam aus allen real bekannten Internetgiganten

Jetzt hat er sich also der Welt des Silicon Valley angenommen, der Unternehmenswelt der Googles, Apples, Facebooks, die praktisch direkt vor seiner Haustür liegt: Eggers wohnt in der San Francisco Bay Area. Das titelgebende Unternehmen ist eine Art Amalgam aus allen real bekannten Internetgiganten. Sein Logo besteht aus einem Kreis um ein engmaschiges Gitter, mit einem kleinen c für Circle in der Mitte. Die Erfindung, die ihm das Monopol in der Netzwelt verschafft hat, ist „TruYou“, ein System, das online alle Bedürfnisse eines Users zusammenführt, „ein einziger Button für den Rest deines Online-Lebens“. Hier bekommt die Heldin des Romans, eine junge Frau namens Mae Holland, einen Job. Wie „im Himmel“ fühlt sie sich: „Hier auf dem Hauptcampus waren über zehntausende Mitarbeiter beschäftigt, aber der Circle hatte überall auf dem Globus Büros, stellte jede Woche Hunderte begabte junge Köpfe ein und war schon vier Jahre hintereinander zum beliebtesten Unternehmen auf der Welt gekürt worden“.

Aus dem Staunen und den Dauerglücksgefühlen kommt Mae im Verlauf des Romans praktisch nicht mehr heraus, auch wenn sie manches Hindernis überwinden, manchen verschlungenen Pfad der Erleuchtung gehen muss, um in der Circle-Welt ein anerkanntes Mitglied zu werden, das die Firmenphilosophie irgendwann in Slogans wie „Geheimnisse sind Lügen“, „Teilen ist Heilen“ und „Alles Private ist Diebstahl“ auf den Punkt bringt.´

Man muss Eggers’ Roman wohl wirklich als Satire begreifen, gerade vor dem Hintergrund der Einfalt und Kritiklosigkeit seiner Hauptfigur, ihrer Eindimensionalität. Nur liest er sich streckenweise gar nicht so. „Der Circle“ hat oft mehr etwas von einer Versuchsanordnung, die allerdings schon Realität geworden, über das Versuchsstadium hinaus ist – und auch etwas von einer Abrechnung mit der digitalen Arbeitswelt und der Internetökonomie: Eggers versagt sich jeden Spaß und Humor, er meint das alles bitter ernst.

Schon bald ist sie komplett transparent, mit Gesundheitsmonitor und Kamera

Abgesehen davon, dass Romansatiren auf fast 600 Seiten allein eine Zumutung sind: „Der Circle“ ist in seiner Dramaturgie von Beginn an sehr durchschau- und vorhersehbar und verzichtet auf jede überraschende Wendung. Mae arbeitet sich erst ein, bei der „Customer Experience“, wo sie Werbekunden betreut, die wiederum sie für ihre Arbeit bewerten; sie fühlt sich geborgen in der hellen, sauberen Bio-Wellness-Arbeitswelt des Circle-Campus; sie büchst zwar zweimal zum Kajak-Fahren aus und befreit sich von den ihr sowieso nie zu Bewusstsein kommenden Circle–Zwängen, wird aber beide Male gewissermaßen wieder eingefangen (nicht zuletzt damit, dass der Circle ihre Eltern krankenversichert). Schon bald ist sie komplett transparent, ausgestattet mit Armbändern an jedem Handgelenk, einem Gesundheitsmonitor links und einer Kamera für ihre „Viewer“ rechts, die jede ihrer Regungen verfolgen. Eine Circle-Vorzeigefigur.

Immer wieder muss sie auf Meetings, wo in Anwesenheit der drei Circle-Chefs neue Projekte vorgestellt werden: Projekte wie „SeeChange“ (Kameras, die überall auf dem Erdball installiert sind), „ChildTruth“ (Chip-Implantate für Kinder schon bei der Geburt, um diese vor Missbrauch zu bewahren), „DemoVis“ (Politiker, die sich in Transparenz üben) und „PastPerfect“ (womit die Vergangenheit jedes Einzelnen über Jahrhunderte zurückverfolgt werden kann).

Eins folgt auf das andere, klapp, klapp, klapp. Zu regelrechten Karikaturen geraten ausgerechnet die beiden Figuren, die Sand in das Circle-Getriebe streuen: Kalden, ein geheimnisvoll auf dem Campus herumstreunender, überall Zugang habender Grauhaariger, der Mae vor dem gröbsten Transparenz-Unsinn bewahren will (die Auflösung seiner Identität am Ende ist der vielleicht läppischste Witz des Romans); und Mercier, ein alter Freund Maes, der sich in die Berge zurückzieht, um der Totalüberwachung zu entgehen und schließlich von Mae versehentlich zu Tode gejagt wird.

Handlungs- und Gedankenarmut, Redundanzen und Holzhammermethoden

Eines mag man Dave Eggers attestieren: Er versteht es in „Der Circle“, das Gute, also das, was vermeintlich im Namen von Wahrheit, Demokratie und Fortschritt und zur Bekämpfung von Kriminalität, Korruption oder Kindesmissbrauch getan wird, gegen den durch die neuen Technologien möglich gewordenen Kommunikations-, Transparenz- und Kontrollwahnsinn auszuspielen.

Nur hat man das nach gut 50 Seiten des Romans verstanden, und was folgt, sind Handlungs- und Gedankenarmut, ermüdende Redundanzen und Holzhammermethoden. Zumal Dave Eggers seinen Internetroman in einer erschreckend schlichten, konventionellen Prosa erzählt, der jede Eleganz, literarische Verschlüsselungen oder bewusst herbeigeführte stilistische Brüche abgehen. Das wirkt selbst wie ein Offenbarungseid. Als könnte man den Gefahren und der Weltherrschaft des Internet mit sprachlichen Mitteln gar nicht mehr beikommen.

Dave Eggers: "Der Circle". Roman. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 558 Seiten, 22,99 €.

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