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Roger Kusch: Der Todbringende

Elegant, kultiviert – und ein Mörder? Eiskalt, gefühllos – aber ein Erlöser? Hilft er Leidenden aus ihrer Not? Oder will er nur Geld verdienen? Der Sterbehelfer Roger Kusch ist ein komplizierter Mensch. Eine Begegnung.

Der Mörder kocht Kaffee. Er geht in die offene Küche in seinem Wohnzimmer, das für Riesen gemacht ist, durchquert die 85 Quadratmeter. Er hat schon ein paarmal geschluckt damals, als sie ihn „Mörder“ genannt haben, hat den Artikel in der „Bild“-Zeitung noch mal und noch mal gelesen, aber mit dem Schlucken war’s dann schon getan. Roger Kusch ist schließlich einiges gewohnt. Abgehärtet geradezu. Spätestens seit der Zeit, als er Justizsenator von Hamburg war. Da hatte er auch ein paar Namen bekommen, die nicht jeder haben möchte. „Lächelnde Guillotine“ zum Beispiel.

„Mörder“ aber war das Schlimmste. Oder „Dr. Tod“.

So nennen ihn manche seit Ende Juni. Da trat Roger Kusch vor die Presse und verkündete, dass er einer Frau beim Sterben geholfen habe. Nicht mit einer Giftspritze oder dergleichen, nicht mit aktiver Sterbehilfe also, sondern in der Form des „begleiteten Suizids“. Er hat die 79-Jährige beraten, ihr erklärt, wie sie an entsprechende Medikamente kommen könne und wie sie die tödliche Dosis zu nehmen habe. Mehr als seine Anwesenheit beim Suizid, sagt er, sei da nicht gewesen. „Sie hatte die Regie, ich war nur der Regieassistent. So wichtig wie die Anwesenheit war die Abwesenheit. Roger Kusch hat dann nämlich die Wohnung verlassen. Er wollte keine Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung riskieren.

Seit diesem Tag ist Roger Kusch eine der umstrittensten Personen Deutschlands. Geschmäht als Todesengel und überhöht als Erlöser, der Leidenden die Rettung bringt, die ihnen das deutsche Recht versagt. An die 200 Anfragen nach einem gnädigen Tod erreichen ihn pro Monat. Drei Mal hat er in der Folge solchen Anfragen nachgegeben, jüngst in Berlin, und Menschen beim Sterben geholfen. Nicht im Stillen, sondern jeweils darauf bedacht, dieses Sterben publik zu machen. Während seiner Pressekonferenzen zeigt er Videos, in denen die Sterbewilligen die Gründe und die Ernsthaftigkeit ihres Entschlusses darlegen. Das Sterben selbst zeigt er nicht. Jedes Mal war ihm der öffentliche Aufschrei gewiss.

Und nun droht im sogar Gefängnis – „wegen des Anfangsverdachts auf Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz“.

Ende dieser Woche hat die Hamburger Staatsanwaltschaft Roger Kuschs Wohnung und Büro durchsucht. Anlass: der Tod einer 84 Jahre alten Rentnerin Ende September. Im Blut hatte sie eine hohe Dosis eines verschreibungspflichtigen Malaria-Medikaments. „Sie selbst hatte aus unserer Sicht keine Veranlassung, sich ein Malaria-Medikament zu besorgen“, sagt der Staatsanwalt. Hat Roger Kusch es organisiert und weitergeleitet? Das wäre gesetzwidrig. Bisher hat er immer heftig bestritten, bei der Beschaffung der tödlichen Substanzen geholfen zu haben.

Was ist das für einer, der sterben hilft und dabei ganz genau weiß, dass die Empörung über ihn herfallen wird?

Um Roger Kuschs Wohnung zu finden, muss man vom Hamburger Hauptbahnhof ein paar Schritte durch das Viertel St. Georg tun. Beim Gehen zeigt sich schon, dass von nun an mit ein paar Widersprüchen zu rechnen ist. Bettler hocken auf dem Bürgersteig, Läden verkaufen billige Telefontarife, billiges Bier und billige Heftchen, die „Vanessa Bar“ grenzt an die „Dschungel Bar“, auf der Straße stehen beängstigend junge Mädchen, die Dealer sieht man nicht, aber man weiß, sie sind da.

Hier lebt Roger Kusch in einem Haus, dessen Fassade wohl eine Pracht war zu Jugendstilzeiten, aber das ist lange her. Erst ganz oben, im vierten Stock, wird es wieder eine Pracht, aus vier Zimmern hat Kusch ein einziges gemacht, ein Großraum ist entstanden von entschiedenem Stil- und Designbewusstsein. Und dieses Bewusstsein beschränkt sich nicht nur auf die Wohnung, es prägt die ganze Person. Roger Kusch, ein schmaler, fast zarter Mann von 54 Jahren, trägt ein silberglänzendes Jackett zum offenen weißen Hemd, eine schwarze Hose mit feinen Streifen. Schwarz sind auch die beiden Ledersofas auf blauem Teppich, der auf den hellen Dielen liegt. Roger Kusch hat Platz genommen. Vor ihm auf dem Glastisch steht die Kaffeetasse.

Wohnungen können manchmal Geschichten erzählen. Diese erzählt besonders viel. Sie gehört nämlich Ole von Beust, Hamburgs Erstem Bürgermeister, und der hat sie an Kusch vermietet, lange schon. Vor sieben Jahren, als von Beust mithilfe des Rechtspopulisten Ronald Schill („Richter Gnadenlos“) die SPD aus der Regierung warf, hat er seinen Freund aus Studientagen, Roger Kusch, nach Hamburg geholt und zum Justizsenator gemacht. Ein Quereinsteiger, keine Erfahrung mit dem Politikbetrieb. Nach dem Jura-Studium und der Promotion (Thema: „Der Vollrausch“) war er im Strafvollzug tätig gewesen, dann Richter und Staatsanwalt und später Ministerialrat im Bundeskanzleramt.

Kaum im Amt als Justizsenator, entpuppte sich Kusch als Enfant terrible in der Regierungskoalition. Er versuchte, eine harte Gangart im Strafvollzug durchzusetzen, reiste nach Arizona, um dort die Methoden des als Hardliner und Todesstrafenbefürworter bekannten Gefängnisdirektors Joe Arpaio zu studieren; er machte sich stark dafür, das Jugendstrafrecht abzuschaffen, ließ die sozialtherapeutischen Anstalten Hamburgs, in der Verbrecher behandelt worden waren, schließen und ein Hochsicherheitsgefängnis für 800 Insassen bauen. Im Strafvollzug sollte es den Kriminellen „so schwer wie möglich“ gemacht werden. Die Aufregung in der liberalen Stadt war enorm, dazu kamen personalpolitische Querelen. Mitarbeiter und Politiker von damals erzählen von „Eiseskälte“, „Rücksichtslosigkeit“ und „Geltungssucht“. Dennoch loben sie den „glänzenden Juristen“ auch.

Politische Schlammschlachten tobten, ein Untersuchungsausschuss tagte. Stiller wurde es erst im Frühjahr 2006. Die sogenannte Protokoll-Affäre, bei der es um widerrechtliche Weitergabe von vertraulichen Unterlagen ging, beendete Kuschs politische Karriere. Ole von Beust entließ seinen Studienfreund, und heute noch ist bei Hamburger Politikern ein großes Aufatmen zu hören. Kuschs Versuch, bei der folgenden Bürgerschaftswahl mit einer eigenen Partei, der rechtspopulistischen „Heimat Hamburg“ zu reüssieren, scheiterte mit einem Ergebnis von 0,5 Prozent.

Zuvor war Kusch unfreiwillig noch einmal in die Schlagzeilen geraten, als Innensenator Schill Bürgermeister Ole von Beust gedroht hatte, dessen Homosexualität und ein angebliches Verhältnis mit Kusch öffentlich zu machen. Kusch outete sich danach selbst als homosexuell, bestritt aber ein Verhältnis mit von Beust.

In seiner Wohnung lebt er aber nach wie vor, er habe auch immer noch Kontakt zu von Beust, sagt Kusch, das aber sei das Einzige, was es dazu zu sagen gebe. Sein Privatleben gehe keinen etwas an. Bei solchen Worten kann Kusch sehr dezidiert sein, schneidend. Man spürt, da ist einer, der Kriegszustände gewöhnt ist. Der attackiert und attackiert wird. Der provoziert und die eigene Provokation hervorruft. Einer, der geradezu bekämpft werden will. Der immer auf der Lauer liegt, schnell im Denken, schnell in der Replik. Ein Besserwisser oft, und jetzt auf der Ledercouch über dem blauen Teppich bekommt er vor Eifer rote Wangen.

Und dann noch die Sterbehilfe. Als könne der, der immer aneckt, gar nicht genug vom Anecken bekommen. Ausgerechnet jenes Thema macht er sich zu eigen, das polarisiert wie kaum ein anderes. Politiker, Kirchenleute und Ärzte treibt die Sterbehilfe zu höchsten Tönen der Empörung, während, wie Umfragen immer aufs Neue zeigen, etwa 70 Prozent der Bevölkerung sie befürworten.

Vielleicht ist es ja gerade der Streitwert dieses Themas, das ein Kusch-Thema daraus gemacht hat. Denn klar begründen, warum aus dem Politiker jetzt ein Sterbehelfer geworden ist, kann Kusch nicht. „Wenn mir in den letzten Jahren irgendein Zufall eine andere Aufgabe vor die Füße gespült hätte, wer weiß, ob ich mich für Sterbehilfe engagiert hätte“, sagt er. Und es ist eine eigentümliche Abwesenheit von Gefühlen in seiner Stimme. Eine Korrektheit und Aufgeräumtheit, die mit nichts besser zu vergleichen ist als mit diesem Wohnzimmer, in dem die Ordnung triumphiert. Und diese Ordnung wiederum wird durch nichts besser beglaubigt, als durch jene zweieinhalbtausend CDs im Regal, die säuberlich etikettiert und rubriziert sind. Kammermusik in der Hauptsache, 19. Jahrhundert. Früher hat er einmal Geige gespielt. Aber er hat aufgehört damit, weil er nicht gut genug war. Kusch ist gerne gut.

Nein, für die Sterbehilfe gebe es keinen speziellen Anlass. Kein besonderes Erlebnis in der Familie oder im Freundeskreis, auch das Thema Tod hat keineswegs zu Kuschs Lebensbegleitern gehört. So sagt er es jedenfalls. Es sei eher ein Zufall gewesen. Vor drei oder vier Jahren sei er als Justizsenator auf Unkorrektheiten bei ärztlichen Totenscheinen gestoßen, habe festgestellt, dass die beschriebenen Todesursachen oft nicht den wirklichen entsprachen. Auf einmal war sein Interesse geweckt. Und der erste Schritt getan.

Das mit den Emotionen kam später. Als er sein Eintreten für Sterbehilfe öffentlich gemacht hatte und ihn Briefe aus ganz Deutschland erreichten. Besonders von ärmeren Leuten. Die anderen, sagt Kusch, könnten sich ja ohnehin helfen. Diese Briefe hätten ihn bewegt. Nicht dass er gleich von Mitleid sprechen wolle, ein viel zu großes Wort. Aber ein gewisses Einfühlungsvermögen in die Hilflosigkeit eines anderen, das sei es. Das bestärke ihn in der neuen Rolle. Es ist der Moment, an dem Kusch zum ersten und einzigen Mal in das Pathos des Erlösers fällt: „Einsam marschiere ich über ein unbeackertes Feld.“ Und dennoch verirrt sich selbst da, wo Kusch von Gefühlen spricht, kaum eine Spur von Emotion in seine Stimme. Hat er sie nicht? Will er sie nicht zeigen?

Vielleicht hat jener Politikerkollege, der lange mit ihm zusammengearbeitet hat und seinen Namen nicht nennen möchte, recht, wenn er von einer gespaltenen Persönlichkeit spricht. Dass es Momente gebe, in denen Kusch kaum noch Bezüge herstellen könne zu anderen. Es ist ja wahr, da redet ein hochintelligenter Mensch, einer, dessen gewinnende Seiten nicht zu leugnen sind, ein jungenhaftes Lachen kommt manchmal zum Vorschein, eine Weichheit, die den Hardliner vergessen macht, dann aber verliert sich all das plötzlich und auf unerklärliche Weise.

Zum Beispiel, wenn es ums Geld geht. 8000 Euro nimmt Kusch für seine Sterbebegleitung. Er bezahlt davon aber keine Organisation, keine Bürokräfte, sondern nur das psychiatrische Gutachten, das er in jedem Fall erstellen lässt, und manchmal Reisen. Ansonsten aber verdient Kusch an seinem Tun. „Ich spende die 8000 Euro nicht ans Rote Kreuz.“

Ob er da keine moralischen Bedenken habe? Geld verdienen mit dem Tod? Kusch ist von solchen Fragen nicht im Mindesten irritiert – sie machen ihn nur völlig verständnislos. Er erbringe eine Dienstleistung und nehme dafür ein Honorar. Er treffe eine Vereinbarung, und kein Sterbewilliger habe ihn je dafür kritisiert. Die moralische Dimension dieser Vereinbarung ist in der Welt des Roger Kusch, der immerhin gläubiger Christ ist, offenbar nicht existent.

Man muss sich ihn deshalb keineswegs als finsteren, brutal kalkulierenden Menschen vorstellen. Er kann vom Kalten ins Warme gehen wie von einem ungeheizten Zimmer in ein geheiztes. Das Klavierquintett von Brahms, sagt er, liebt er über alles. Etwa 40 Einspielungen hat er davon in seinem CD-Regal. Aber seine erste sei ihm immer noch die liebste, die Aufnahme mit Werner Haas.

Draußen ist es dunkel geworden, es hat angefangen zu schneien. Bei der „Vanessa Bar“ sind die Lichter angegangen.

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