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Schwer beschädigt. Das Sursock-Museum im September 2020, kurz nach der Explosion im benachbarten Hafen. 

© Nadia von Maltzahn

Der Zerstörung knapp entronnen: Neubeginn für das Sursock-Museum in Beirut

Das Sursock-Museum wurde vor drei Jahren bei der Explosion im Hafen von Beirut schwer beschädigt. Nun ist es wiedereröffnet worden. Weil die Förderung nicht reicht, hofft es auf Spenden.

Von Nadia von Maltzahn

Vor drei Jahren, am 4. August 2020 kurz nach 18 Uhr, explodierten mehrere Tonnen Ammoniumnitrat in Beiruts Hafen und lösten die größte nicht-nukleare Explosion der Geschichte aus. Besucher der Ausstellung „Beirut and the Golden Sixties: A Manifesto of Fragility“ im Berliner Gropius Bau konnten im Frühjahr 2022 ein Exponat erleben, das den Moment der Explosion aus Sicht der Überwachungskameras des Sursock-Museums zeigte. Die Videoinstallation „As Night Comes When Day is Gone” des Künstler-Duos Joana Hadjithomas und Khalil Joreige zeigte auf zwölf kreisförmig aufgestellten Bildschirmen Aufnahmen des Augenblicks, in dem das nur 800 Meter vom Hafen entfernte Museum und weite Teile Beiruts buchstäblich in die Luft flogen.

Die Explosion, eine Folge jahrelanger Korruption und Missmanagements, hinterließ die Stadt in einem trostlosen Zustand. Das schwer beschädigte Sursock-Museum schloss seine Türen, wie viele andere Einrichtungen auch. Der Sommer 2021, ein Jahr nach der Explosion und zwei Jahre nach Beginn der Finanzkrise, markierte den Tiefpunkt der Perspektivlosigkeit. Man trat weiterhin in vielen Teilen der Stadt auf Schutt und Scherben, die staatliche Stromversorgung war komplett unterbrochen, und das libanesische Pfund verlor rapide an Wert. Wer konnte, verließ das Land auf der Suche nach besseren Aussichten.

Auch das Museumsteam bekam dies zu spüren. Die Direktorin Zeina Arida, die das Museum seit seiner letzten Neueröffnung nach umfassender Renovierung (2007-2015) geleitet hatte, wurde im November 2021 nach Qatar berufen, um dort das arabische Museum moderner Kunst, Mathaf, zu leiten. Die stellvertretende Direktorin verließ das Museum kurz darauf, sodass das kleine Museumsteam die nächsten Monate ohne Chefin war. Parallel liefen die Arbeiten am Wiederaufbau weiter, für die Arida Mittel eingeworben hatte.

Die Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020.

© imago/Xinhua/IMAGO/Bilal Jawich

Vor kurzem wurde das Haus, Beiruts einziges Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, wieder geöffnet. Über 5000 Besucher kamen zum Eröffnungswochenende, groß war die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität. Allerdings halt die politische und finanzielle Krise im Land an. Bis beginn der Krise war das Museum die einzige kulturelle Institution im Land, die durch öffentliche Mittel finanziert wurde.

Der Kunstliebhaber Nicolas Ibrahim Sursock, aus einer wohlhabenden griechisch-orthodoxen Familie stammend, hatte 1952 in seinem Testament seine 1912 erbaute Villa und Kunstsammlung der Stadt Beirut vermacht. Diese war angehalten, eine Stiftung zu gründen, um sein Haus in ein öffentliches Museum für alte und moderne Kunst des Libanons, arabischer und anderer Länder zu verwandeln.

Das Sursock Museum, beschädigt von der Explosion.

© IMAGO/ABACAPRESS/IMAGO/Abd Rabbo Ammar/ABACA

1961 öffnete das Sursock-Museum mit einer Gruppenausstellung zeitgenössischer Kunst des Libanons, dem ersten Herbstsalon, für den das Museum in den kommenden Jahrzehnten bekannt werden sollte. Zunächst über ein kleines Budget der Stadtverwaltung und des Bildungsministerium gefördert, änderte ein 1964 erlassenes Gesetz sein Schicksal. Seither wird eine Zusatzsteuer auf Baugenehmigungen in Beirut erhoben, die direkt ans Museum geht. In einem Land, in dem der Großteil der kulturellen Aktivitäten aus privater Hand finanziert wird und das Kulturministerium praktisch mittellos ist, war diese Förderung ein Alleinstellungsmerkmal.

Doch damit ist nicht mehr viel anzufangen, seit das libanesische Pfund um die 98 Prozent seines Wertes verloren hat. Das Museum muss umdenken. Die neue Museumsdirektorin, Karina El Helou, amtiert seit Oktober 2022. Nach 22 Jahren in Paris und London, wo die Kuratorin studiert und gearbeitet hatte, ist sie in den Libanon zurückgekehrt. Die Explosion und das Gefühl der Ungerechtigkeit gaben für sie den Ausschlag, für den Neustart des Museums zu kämpfen.

Mittel einzuwerben ist El Helous größte Herausforderung für die kommenden Monate, im Herbst startet eine große Spendenaktion. Neun Millionen US-Dollar sollen in den nächsten fünf Jahren akquiriert werden. Sie hofft insbesondere auf Hilfe aus der libanesischen Diaspora. Um dafür zu werben, will die Museumschefin im Oktober nach Paris, London und New York reisen.

Die Solidarität, die das Sursock-Museum nach der Explosion aus dem In- und Ausland erfahren hat, gibt Hoffnung. Die umfassende Sanierung des Gebäudes und Restaurierung von Kunstwerken nach der Explosion wurden durch eine Reihe von Spenden ermöglicht. Die International Alliance for the Protection of Heritage in Conflict Areas (ALIPH) und das französische Kulturministerium stifteten jeweils 500.000 Dollar, von der italienischen Regierung kam eine Million Dollar.

Eine französische Firma stiftete Baumaterial und handgefertigtes Glas für die Museumsfassade. Das bunte Glas wurde dann in Beirut von der Restauratorin Maya Husseini in Form gebracht, die schon während der letzten Renovierung die Fenster nach Originalmustern erneuert hatte. Auch mehr als 60 der zum Zeitpunkt der Explosion ausgestellten Kunstwerke hatten Schaden genommen. Sie konnten mithilfe von Studenten der Balamand Universität restauriert werden. Drei besonders ramponierte Exponate wurden im Pariser Centre Pompidou wiederhergestellt.

Eines dieser Werke ist ein großformatiges Porträt, das der Maler Kees van Dongen Ende der Zwanzigerjahre von Nicolas Ibrahim Sursock gemacht hat. Kurz vor der Wiedereröffnung des Museums aus Paris nach Beirut zurückgekehrt, kann es nun in einer der fünf Ausstellungen bewundert werden, die das Museum zeigt. „Je suis inculte! The Salon d’Automne and the National Canon“, eine Zusammenstellung von Werken der Museumssammlung und Langzeitleihgaben, setzt sich kritisch mit dem Vermächtnis des Herbstsalons für die libanesische Kunstszene auseinander.

Blick in die Ausstellung „Beyond Ruptures“. Sie zeigt die Umbrüche, die das Museum seit seiner Gründung begleiteten.

© Sursock-Museum

Der Titel „Ich bin ungebildet“ bezieht sich auf einen 1964 veröffentlichten Text des Dramatikers Jalal Khoury. Er warf dem Museum Elitismus vor, weil man als ungebildet bezeichnet werde, wenn man bekenne, dass man mit abstrakter Kunst nichts anfangen könne. Eine Debatte über abstrakte versus figurative Kunst, verbunden mit der Frage, was libanesische Kunst ausmache, begleitete fortan die Herbstausstellungen des Museums. Eine andere Ausstellung beschäftigt sich unter dem Titel „Beyond Ruptures“ mit den Brüchen, die das Museum seit seiner Entstehung begleitet haben.

Indem es die Geschichte des Museums durch seine Unterbrechungen erzählt, hebt die Ausstellung die Herausforderungen hervor, unter denen das Museum und die Künstler von Anfang an gearbeitet haben. Die ausgestellten Werke nehmen Bezug auf einschneidende Ereignisse, wie etwa Jean Khalifés „La Peur“ (Die Angst) von 1977. „La Peur“ ist eine Serie von Bildern, die der Maler schuf, nachdem er 1976 eine Nacht inmitten des libanesischen Bürgerkriegs in Geiselhaft verbracht hat. Ähnlich beeindruckend ist das Selbstporträt, das Paul Guiragossian 1948 kurz nach seiner Ankunft in Beirut aus Jerusalem malte und restaurierte, als es 1989 bei einem Bombenangriff beschädigt worden war.

„Beirut ruft die zukünftigen Generationen“, mit diesem Slogan der Anfang des Jahres verstorbenen libanesischen Künstlerin Laure Ghorayeb blickt das Museum nach vorne. Es plant, seine Bildungsarbeit auszuweiten und neue Räume für Kinder zu schaffen. Über eine Partnerschaft mit der Stiftung Nadi Lekol Nas will es das Interesse an arabischen Filmen wecken. Kunst ist für das Sursock-Museum nichts Elitäres, Kunst soll für jeden zugänglich sein.

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