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Erscheinungen. Vor 30 Jahren, am 24. Juni 1981, wollen sechs junge Bewohner eines südbosnischen Dorfs die Jungfrau Maria gesehen haben. Seitdem pilgern Katholiken in Scharen nach Medjugorje, bis zu einer Million pro Jahr. Foto: AFP

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Deutschsprachige Literatur: Ich schon wieder

Ist dann auch mal weg, braucht aber viele Bier und einen guten Freund: Thomas Glavinic möchte Menschen in ihrem Glauben erleben und begibt sich auf Pilgerfahrt nach Bosnien

Thomas Glavinic ist als Kind im Bus schon immer schlecht geworden; deshalb gehört Busfahren auch heute nicht, da er bald das vierzigste Lebensjahr erreicht, zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Thomas Glavinic kann nicht ohne sein Handy sein, weil er dann vom Rest der Welt abgeschnitten wäre, „und das halte ich weder in einem Reisebus noch inmitten in Wien aus“. Thomas Glavinic hat Probleme damit, anderen Menschen zu erzählen, was er von Beruf ist, geschweige denn von seinen Büchern. Thomas Glavinic trinkt ganz gern einen; auch dem Genuss von Pillen, die ihn wachhalten oder wieder runterbringen, ist er nicht abgeneigt.

Und überhaupt hat Thomas Glavinic so seine Macken und Neurosen, zum Beispiel fragt er sich manchmal, „ob Gott, wenn er existiert, jederzeit meine Gedanken liest“. Oder er hat den Eindruck, dass er Menschen, die an Gott glauben, ganz tief in sich drinnen beneidet, dass er tief in sich eine „Sehnsucht nach dem Göttlichen“ verspürt. Weshalb er auf den nicht so abwegigen Gedanken gekommen ist, eine Pilgerfahrt zu unternehmen, um einmal „Menschen in ihrem Glauben zu erleben“. Mit seinem Freund Ingo, einem Fotografen, macht er sich auf eine Busreise in den bosnischen Pilgerort Medjugorje, wo 1981 drei kleinen Hirtenjungen die Jungfrau Maria erschienen sein soll. Und weil der Österreicher von Beruf Schriftsteller ist, legt er von dieser Reise auch ein schriftliches Zeugnis ab, in Form einer Reportage, veröffentlicht als Buch mit dem Titel „Unterwegs im Namen des Herrn“, der schon zweiten Glavinic-Veröffentlichung dieses Jahr nach dem Roman „Lisa“. Hatte der bereits den Charakter eines Zwischenwerks, so ist das bei diesem Buch erst recht so. „Unterwegs im Namen des Herrn“ ist ein Zwischenzwischenwerk mit vielen vorhersehbaren und ein paar großen, wahnwitzigen Szenen.

Glavinic erlebt zwar einige Menschen in ihrem Glauben, das aber nur sehr an der Oberfläche. Viel mehr, als dass seine Busmitreisenden alle ein bisschen eigenartig sind, sie von ihm nur als „Kappenmann“, „Liliputaner“, „Intschu-Tschuna“ oder „der Tennislehrer“ bezeichnet werden, und sich in Medjugorje Restaurants und Souvenirläden aneinanderreihen und der Ort der reinste Nepp ist, erfährt man nicht. Was nicht weiter verwunderlich ist. Denn vor allem ist Glavinic bei dieser Reise mit sich selbst beschäftigt, mit dem Überstehen der Busfahrt, den Bieren und Schnäpsen zum richtigen Zeitpunkt, einer schweren Angina, am Ende mit seiner Flugangst. Das liest sich alles schön und anstrengungslos, doch fragt man sich bei der Lektüre immer wieder: Und, was soll das Ganze jetzt?

Diese Fragen hören erst auf, als Glavinic und sein Freund Ingo Medjugorje wieder verlassen und gewissermaßen vom öden Himmel in die spannende Hölle kommen. Sie werden von Glavinic’ plötzlich auftauchenden Vater und dessen Freundin ins kroatische Split mitgenommen, von wo sie einen Flug nach Wien nehmen wollen. Der Vater macht sie mit einem alten Freund bekannt, einem mutmaßlichen Mafioso und JugoslawienKriegsveteranen. Ehe sie sich versehen, landen Thomas und Ingo in dessen Villa, in der eine merkwürdige Party gefeiert wird. Es gibt Goran-Ivanisevic-Schnäpse, Nudeln, Champagner, Drogen, es kommen zwielichtige Nachbarn, Freunde und Halbweltgestalten, und Glavinic macht Schießübungen und erschießt aus Versehen die Ziege eines Nachbarn. Ertragen tut er das Ganze nur mit ein paar Pillen, er hat schließlich eine schwere Angina und eine nicht zu unterschätzende Psychopathologie – und mit den Botschaften der Mutter Gottes, die er den Broschüren aus Medjugorje entnimmt.

Letzteres wäre nicht nötig gewesen. Man versteht das Absurde dieser Botschaften, zäh zu lesen sind sie sowieso. Aber wenn es mit der ehrlichen Pilgerei nichts wird, wenn schon gar kein zweites „Ich bin dann mal weg“ aus dieser Reportage werden kann, muss wenigstens die Parodie einer Pilgerreise her. Als solche funktioniert „Unterwegs im Namen des Herrn“ leidlich – mehr noch aber als Fortsetzung von Glavinic’ Erfolgsroman „Das bin doch ich“, der von den Leiden und Zwängen eines Schriftsteller namens Thomas Glavinic erzählt. Ein Fanbuch, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Thomas Glavinic: Unterwegs im Namen des Herrn. Hanser Verlag, München 2011. 207 Seiten, 17,90 €.

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