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Marion Brasch, die letzte Überlebende der Familie.

© Salzgeber

Doku „Familie Brasch“ im Kino: Die Buddenbrooks des Ostens

Bruchlinien der Geschichtszeit: Mit der Doku „Familie Brasch“ porträtiert Annekatrin Hendel nicht nur die Familie, sondern eine ganze Epoche.

Regisseurin Annekatrin Hendel ahnte früh, worauf sie da gestoßen war: auf nichts Geringeres als die Buddenbrooks des Ostens, den Familienroman vom Untergang eines Zeitalters. „Familie Brasch“ ist Vorarbeit im vertrauten Metier – wie Breloer, der die jüngste Mann-Tochter Elisabeth an die Orte ihres Lebens begleitete. Die letzte Überlebende der Braschs ist Marion, geboren 1961 in Ostberlin.

Sie fliegt für einer Lesung aus ihrem fulminanten Roman „Ab jetzt ist Ruhe“ nach New York. Das hätte ihren Bruder Thomas wohl schwer irritiert: Die kleine Schwester schreibt auch. Und liest in New York! Sein letztes Buch dagegen, das Buch seines Sterbens, Tausende Seiten über den „Mädchenmörder Brunke“, war fast nicht mehr zu veröffentlichen. Und kaum mehr zu lesen. Doch von vorn. Jede Familiensaga beginnt mit den Ahnen, am besten mit denen, die selbst in Hendels beredter Dokumentation schon nicht mehr vorkommen.

Vom jüdischen Katholiken zum Marxisten

Eine jüdische Fabrikantentochter aus Breslau konnte Heiratsanträge gut aussehender Männer nur schwer ablehnen. Der dritte, den sie annahm, stammte von einem Biologen, Kunstliebhaber und Übersetzer aus Oberbayern. In Bichl war sie nur „die geschiedene Jüdin mit Kind“. Sie wurde, was man in Oberbayern am leichtesten wird: katholisch. Dass ihr Sohn Horst, Zögling des Benediktiner-Klosterinternats Ettal, Künder des Herrn werden würde, stand außer Frage. „Priester?“, fragt Christoph Hein im Film. Eine halbe Minute des Erstaunens, dann: „Stalin wollte auch Priester werden!“

Nein, ein Stalin war Horst Brasch, FDJ-Mitgründer und stellvertretender Kulturminister der DDR, gewiss nicht, aber wie alle Konvertiten, die zu lange in das Licht des Herrn geschaut haben, war er sozial unverträglich. Dass der Mensch dieses Licht selbst in der Hand trug, hatte er in einem Internierungslager gelernt: Grundkurs Marxismus-Leninismus.

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Die Geschichte, wie aus dem jüdischen Katholiken oder katholischen Juden Horst Brasch ein Marxist wurde, erzählte der Vater am liebsten. Seine Tochter aber sagt: „Für mich war es die langweiligste Geschichte der Welt!“ Regisseure lieben solche Sätze. Sie offenbaren die Tiefseegräben zwischen den Generationen, den Stoff, aus dem die Tragödien sind, die Geschichten von Verrat und Verrätern wider Willen, im Dienst der Wahrheit.

Gäbe es nur geradlinige Menschen auf der Welt, Annekatrin Hendel hätte nie begonnen, Filme zu machen. Was sie interessiert, sind die Bruchlinien der Geschichtszeit, die durch den einzelnen Menschen gehen. Für ihren Film „Vaterlandsverräter“ bekam sie 2011 den Grimme-Preis, es folgte 2013 „Anderson“ über Sascha Anderson, den vielleicht begabtesten Virtuosen des Verrats. Hendels Gabe: Kleinere Talente schaffen Ordnung, bringen Klarheit ins Trübe und nennen das Erkenntnis. Diese Regisseurin aber stellt das Chaos auf höherer Ebene wieder her: als Reflexionsraum.

Freunde und Weggefährten geben Auskunft

So auch hier. Wieder geht es um Verrat. War es etwa kein Verrat, als der Vater seinen Ältesten Thomas mit elf Jahren auf eine Kadettenschule der NVA schickte? Ettal oder Kadettenschule, ein Junge muss Disziplin lernen. War es kein Verrat am Vater, als der Sohn gemeinsam mit Florian Havemann 1968 Flugblätter gegen den Einmarsch der Roten Armee in Prag verteilten? Bestraft wurden beide.

Der Sohn kam ins Gefängnis, der Vater wurde abgesetzt und auf die Parteischule nach Moskau strafdelegiert. Und das ist erst der Anfang dieses roten Buddenbrook-Romans: „Vor den Vätern sterben die Söhne“ hat Thomas Brasch sein bekanntestes Buch genannt. Freunde und Weggefährten wie Florian Havemann, Christoph Hein, Bettina Wegner und Katharina Thalbach geben Auskunft. Wie in einem Kaleidoskop entsteht mehr als das Porträt einer Familie: das einer Epoche, die vielleicht Geschichte ist, aber nicht vergangen.

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