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Die junge Dirigentin Anna Rakitina: Auf dem Programm standen Janácek, Prokofjew und Dvorák.

© Julia Piven

Die Dirigentin Anna Rakitina: Auf, ihr Unruhegeister!

Bei ihrem Debütkonzert mit dem Rundfunk Sinfonieorchester Berlin dreht die russisch-ukrainische Dirigentin schwungvoll am Rad - und wahrt doch die Contenance.

Es ist ja nicht so, dass Frauen am Pult alltäglich geworden wären. Eine zarte, feingliedrige Gestalt, die mit graziler Gestik überschäumende Klangfluten auslöst und die Elemente zu entfesseln weiß – der Anblick verblüfft einen auch bei Anna Rakitinas Debüt beim Rundfunk Sinfonierochester Berlin. Erstaunlich, in welchem Maß überkommene Rollenbilder die eigene, vermeintlich längst sensibilisierte Wahrnehmung nach wie vor prägen.

Rakitina, Jahrgang 1989, Moskauerin mit russischer Mutter und ukrainischem Vater (und klaren Worten gegen Putin gleich zu Kriegsbeginn), macht gerade international Karriere. Sie hat viel zu tun in diesen Tagen, nicht zuletzt als Einspringerin für Putin-Freunde wie Valeri Gergiev. Studium in Moskau und Hamburg, Assistenzdirigentin beim Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons, Tanglewood Festival, Auftritte mit dem New York Philharmonic und dem Bayreuther Festspielorchester, demnächst in Paris, Luxemburg oder im Wiener Musikverein.

Beim RSB-Konzert in der Philharmonie stehen Leoš Janáčeks kurzes „Adagio für Orchester“, Sergei Prokofjews drittes Klavierkonzert und Antonín Dvořáks siebte Sinfonie auf dem Programm, lauter ungestüme, ja gewittrige Werke, passend zu den schwülen Außentemperaturen an diesem Abend.

Rakitina dreht schwungvoll am großen Rad, wahrt dennoch eher kapellmeisterlich die Contenance, hält sich mit Rubati zurück und vermeidet riskante Manöver - weshalb es ihr erst spät gelingt, das Orchester aus der Reserve zu locken.  

Rakitinas Augenmerk liegt bei allem Elan zunächst weniger auf den musikalischen Dramen –  wenn etwa das arglos anmutende Klarinettenduo zu Beginn des Prokofjew-Konzerts unwirsch hinweggefegt wird – als auf den kammermusikalischen Momenten. Das elegische Englischhorn, das Fagott, die Hörner, und erst die innigen Klarinetten-Soli von Oliver Link!

Die kecken Seitenthemen und den pantomimisch-tänzerischen Variationssatz bei Prokofjew gestaltet Rakitina leichthändig und mit subtilem Humor, während Behzod Abduraimov am Klavier die Klangfarben beisteuert (die man im Orchester weitgehend vermisst). Das perlende, silbrig schimmernde Spiel des usbekischen Pianisten, seine flirrenden Finger zeitigen hypnotische Wirkung. Ein Meister der Verwirbelung, auch bei der kurzen Zugabe, der Nr. 5 aus Rachmaninows Préludes op. 32.

Große Tragödie erst nach der Pause: Bei Dvořáks d-moll-Sinfonie kehrt das RSB das Verstörende auch in den vermeintlich ruhigeren Passagen hervor. Spätestens im Scherzo lässt Anna Rakitina die Unruhegeister von der Leine. Das Paradox der kontrollierten Ekstase kann sie gleichwohl nicht schlüssig auflösen.  

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