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Postindustrieller Charme. Über den vier Meter hohen Galeriewänden mit Werken von John M. Armleder wird es historisch.

© Patxi Bergé

Die Galerie Chouakri zieht es an die Peripherie: Öl ist in der Luft

High and low, groß und klein: Mehdi Chouakri eröffnet neben dem Charlottenburger Quartier einen neuen Standort in den Reinickendorfer Wilhelm Hallen.

Was zählt für eine Galerie mehr: die zentrale Lage in einem hippen bis bürgerlichen, in jedem Falle durchgentrifizierten Innenstadtquartier in der direkten Nachbarschaft anderer Galerien? Oder ein Standort irgendwo in der Peripherie, der noch einen gewissen postindustriellen Charme atmet, diesen etwas schmierölig-strengen Hautgout verspricht, den auch die Künstler selbst aufgesogen haben mögen, als sie dereinst ihre billigen Lofts in SoHo bezogen haben? Nicht zu vergessen der Platz für Großformate, den so eine vormalige Produktionsstätte verspricht?

Die Galerie eröffnet ihre neuen Räume zum Gallery Weekend

Glücklich kann sich schätzen, wer sich nicht entscheiden muss. Wie etwa der Salzburger Thaddaeus Ropac, der in Paris eine Galerie im angesagten, quirligen Marais, in unmittelbarer Nähe des Centre Pompidou betreibt – und eine weitere jenseits der Périphérique genannten Stadtautobahn, also buchstäblich in der Peripherie.

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Apropos Paris: Näher kann man der französischen in der deutschen Hauptstadt kaum kommen als bei dem früheren Wahlpariser und inzwischen langjährigen Wahlberliner Mehdi Chouakri. Als am vergangenen Samstag die letzten Arbeiten in den neuen Galerieräumen anstehen, ist die Umgangssprache zwischen dem Chef und den Handwerkern Französisch.

Chouakri macht es nämlich gerade auch: Zusätzlich zu seinen Räumen am Fasanenplatz im gediegenen Wilmersdorf eröffnet er pünktlich zum Gallery Weekend einen weiteren Standort in Reinickendorf in den Wilhelm Hallen – während er den in der Charlottenburger Mommsenstraße geschlossen hat.

"Eisengiesserei Winkelhoff" steht noch am Eingang

Auf der Tür des villenartigen Direktionsgebäudes, das Galeriebesucher künftig passieren werden, steht noch in Versalien zu lesen: Eisengiesserei Winkelhoff. Die gibt es auf dem ab 1898 bebauten Areal nicht mehr – stattdessen Nachbarn wie das Techno-Label Keinemusik oder die Künstler Stefan Marx und Wolfgang Flad. Oder den kanadischen Leuchtenhersteller Bocci, der zuletzt in dem ehemaligen Amtsgericht in der Kantstraße ansässig war als Galerien-Pop-up namens Amtssalon.

Chouakri hat nun, neben dem wohnzimmergroßen Ausstellungsraum am Fasanenplatz 1000 zusätzliche Quadratmeter zur Verfügung. Für Ausstellungen, Büro und Lager. Das nämlich war ihm ein Anliegen: seine drei verstreuten Lager endlich an einem Ort zusammenzuführen. Zu einer Art halb öffentlichem Schaulager. Besucher könnten sich an das Basler Museum gleichen Namens oder das Depot des Möbelherstellers Vitra erinnert fühlen.

Die Umzäunung hat Architekt Mainzer Sportplätzen abgeguckt

Als ehemaliger Pariser denkt der Galerist selbst lieber an die seine vermeintliche Funktionalität zelebrierende Architektur des Centre Pompidou. Er und sein Architekt Philipp Mainzer, der zugleich die Büro-Möblierung aus Spessart-Eiche besorgt hat, haben sich die verzinkten Gitterwände bei der Umzäunung von Sportplätzen abgeguckt. „Es sollte so aussehen, als ob es von der Stange ist“, sagt Mainzer dazu. Die transparenten Gitter grenzen die Lagerflächen zugleich ab und stellen sie zur Schau. Noch stehen sie leer und verbreiten umso mehr von dem, was Chouakri „Luftigkeit“ nennt.

Dieser entgegengesetzt ist die „Geborgenheit“ des Kabinettsraums, in dem künftig in zwei bis drei Schauen pro Jahr das Werk der 1985 verstorbenen Charlotte Posenenske gezeigt werden soll, deren Archiv die Galerie betreut. Vor einem Jahr verstarb Posenenskes alter Nachlassverwalter Burkhard Brunn. Ein weiterer Weggefährte der Künstlerin war Chouakris heutiger Lebenspartner Paul Maenz.

Ein Ausschnitt der legendären Minimal-Ausstellung von 1967 ist zu sehen

Zusammen mit Peter Roehr kuratierte Maenz 1967 die wegweisende erste deutsche Minimal-Ausstellung „Serielle Formationen“, an der auch Charlotte Posenenske teilnahm. Die erste Posenenske-Schau am neuen Standort kommt nun als „kleines Reenactment eines Teilaspekts dieser Ausstellung“ daher, unter anderem mit einem Schreiben Sol LeWitts an die Künstlerkollegin. Das Gegenstück, Posenenskes Brief an LeWitt, haben dessen Archivare nicht mehr finden können.

Die „Geborgenheit“ verdankt der Kabinettsraum seiner von Mainzer mit verzinktem Rahmen entworfenen Tür und der niedrigen Decke. Es ist der einzige Teil der Galerie, in den der Architekt eine neue Decke eingezogen hat. Überall sonst schweift der Blick in das fabrikhallentypische Scheddach – das historisch aussieht, aber erneuert werden musste.

Alt und neu kombiniert: Das ist der Chic der Ruinenromantik

Überall sonst enden die neu eingezogenen weißen Wände erst in vier Metern Höhe. Die Meter darüber und unterhalb des Dachs sind dem vorbehalten, was seit der Sanierung des Neuen Museums durch David Chipperfield gerne Ruinenromantik geheißen wird.

Mit welchem Künstler nun eröffnet man solche neuen, hohen und niedrigen Galerieräume? Mit einem, der mit seiner Kunst vorzugsweise auf der Klaviatur des high and low spielt. Und noch demonstrativer als mit dem ersten Werk gleich rechts des Eingangs ginge das schlechterdings nicht: Da hat John Armleder in seiner elften Schau bei Chouakri seit 1998 die ganze Wandfläche mit den Logos von „Bier’s Kudamm 195“ bemalen lasse.

High and low: Zur Currywurst wird Champagner gereicht

Das ist Berlins einzige Currywurstbude, bei der die Gäste außer der Frage, ob mit oder ohne Darm, auch die nach der Champagnermarke zu beantworten haben, die sie für die Getränkebegleitung zur Wurst bevorzugen.

Auf einer anderen Wand finden sich, in freier Anordnung, zahllose der gewölbten Acrylspiegel, wie man sie aus Supermärkten oder Parkhäusern kennt.

Klein, aber oho: Die Miniaturen kosten bis zu 40 000 Euro

Hier sehen sie aus wie edle, minimalistische Objekte. Mit einem zwei auf sechs Meter großen Pour Painting nutzt Armleder die ganze Weite des neuen Ausstellungsraums. Am Fasanenplatz wäre das undenkbar – unhängbar – gewesen. Dort hat Armleder nun auf ein Podest in der Mitte des Raums ein goldenes Schlagzeug in Spielzeuggröße hingestellt. Die in Armleders Werk gänzlich neuen Miniaturen kosten zwischen 20 000 und 40 000 Euro.

[Galerie Mehdi Chouakri, Fasanenstraße 61, Kopenhagener Straße 60-72, bis 23. 7.]

Groß oder klein – für Mehdi Chouakri geht jetzt beides, er muss sich nicht entscheiden. Vor zwei Jahren hat er die Wilhelm Hallen zum ersten Mal betreten. Liebe auf den ersten Blick, sagt er und lacht sein verlegenes Lachen: großes Galeristenglück.

Jens Müller

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