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Woll-Mode

© Stefan Botev

Mode: Die große Wolllust

Es wird gestrickt in der internationalen Mode – und auch in Berlin. Die Westwood-Schülerin Lisa Winkel entwirft ihre Kollektionen aus Strick und ist damit erfolgreich.

Wer jetzt noch keinen Pullover hat, der strickt sich keinen mehr: Das ist auch gar nicht nötig. Gestricktes bekommt man in diesem Herbst fast überall, und oft sieht es auch noch aus wie selbstgemacht. Das Wolloberteil kann diesen Herbst locker alles andere verzichtbar machen. Der übergroße Pullover ersetzt, den Körper verhüllend oder mit breitem Gürtel getragen, Kleider, Mäntel, Jacken. Wenn er dazu noch einen großen Kragen, lange Armstulpen oder eine Kapuze hat, auch noch fast alle wärmenden Accessoires. Das ist nicht nur praktisch: Wenn man will, sieht man auch noch aus wie sein eigenes Kunstwerk.

Fast kein Designer verzichtet in der nächsten Saison auf das große gestrickte Ding: Stella McCartney zeigt eine Norwegervariante bis zum Boden, verziert mit signalroten Polarbären, Christian Lacroix versieht einen Mantel mit wärmenden Schichten von Strickvolants und einem riesigen Schalkragen. Und Boss Black verlängert den klassischen rechts-links-gestrickten Pullover einfach bis kurz übers Knie. Und das französische Luxushaus Louis Vuitton hat konsequenterweise gleich die Erfolgsstrickerin der Mode zur Zusammenarbeit eingeladen: Sandra Backlund aus Schweden strickte den eleganten Entwürfen des Chefdesigners Marc Jacobs graue Geschwülste auf die Schulter. Die Gewinnerin des diesjährigen Designwettbewerbs im französischen Hyères weiß, was sie mit dunklen nordischen Abenden anzufangen hat: Sie strickt in Hunderten von Stunden Wollröhren, die sie aufeinanderschichtet, so dass sie schließlich wie ein überirdisches Kanalsystem vor dem Brustkorb wippen. Oder sie verflicht dickes Garn zu Kleidern, die mit ihren voluminösen Schultern wirken wie fürs Footballspielen geschaffen.

Nicht nur, dass Sandra Backlund ihre Wollkunst während der vergangenen Modewoche in Berlin zeigte – auch in hiesigen Designateliers wird gestrickt, oder besser über Gestricktes nachgedacht: Jaqueline Huste von Wolfen verkauft in ihrem Atelier handgestrickte Wickeljacken und Musterpullover in den schönsten Zwischentönen. Dafür lässt die gelernte Architektin unter anderem Hausfrauen in ihrer Heimatstadt Wolfen vor dem Fernseher handarbeiten.

Oder Lelya Piedayesh von LalaBerlin, die einst mit einem selbstgestrickten Schal für den Privatgebrauch Bekannte begeisterte und inzwischen in der Mulackstraße ein kleines Wollimperium errichtet hat. Eine, die es ernst meint mit dem Strick, ist Lisa Winkel mit ihrem Label Tjelma. In ihrer aktuellen Kollektion gibt es einfach alles aus Strick – für Frauen und Männer. Dafür hat sie sich mit einer Strickproduktion in Thüringen zusammengetan – einst das deutsche Zentrum zur Herstellung von Strick- und Wirkwaren. Während DDR-Zeiten wurden allerdings in Apolda und Umgebung vor allem Trikotagen für die Armeen der Warschauer-Pakt-Staaten hergestellt. Und auf den größten Teppich der DDR, der für das siebte Turn- und Sportfest entstand, sind sie in Apolda immer noch stolz.

„In Thüringen muss ich schon erklären, dass ich nichts für Aliens mache“, sagt Lisa Winkel. Wenn sie zum Beispiel ein Monster aus einem Bild des Malers Hieronymus Bosch einstricken lässt oder versucht, eine Hose mit nur einer Naht herzustellen. Überhaupt die Hosen: „Die sind das Schwierigste.“ Dass sich nach dem ersten Tragen Beutel an Po und Knien bilden, war ihre größte Sorge. Jetzt bestehen die Hosen, die aussehen wie für das Après-Ski der 50er Jahre gemacht, zu 50 Prozent aus Dralon und können in der Waschmaschine gewaschen werden.

Serienprodukte vor Unikaten

Lisa Winkel: „Ich will Produkte entwerfen, die in Serie gehen, keine Unikate aus Filz. Bei Wolle funktioniert das besonders gut. Wenn die Strickmaschine einmal programmiert ist, dann geht es wie von selbst. Und mit Garn zu arbeiten, ist toll, da produziert man seinen Stoff einfach selbst.“

Wenn Lisa Winkel arbeitet, braucht sie drei Dinge: Sauerstoff, etwas zu essen und Konzentration. Immerhin ist das mit dem Strick ein ewiges Herumgerechne. Muster muss sie in viele tausend Pixel zerlegen.

Tjelma ist bereits ihr drittes Label: Emil & Sheikh hat sie zusammen mit drei ihrer Kommilitoninnen von der Universität der Künste gegründet, um 2005 beim Modewettbewerb des Champagnerunternehmens Moët & Chandon mitzumachen. Im vergangenen Sommer zeigte Lisa Winkel ihre erste Strickkollektion auf der Berliner Modemesse Premium und in Paris unter dem Namen Antaeos. Jetzt heißt ihre Mode wie sie selbst mit zweitem Namen, Tjelma. „Ich bin bei mir selbst angekommen.“ Und nun gibt es neben dem Strick auch Leinen: „Wenn ich nur Strick mache, vermisse ich den Schnitt.“ Schließlich ist die 32-Jährige eine Westwood-Schülerin, und da hat sie gelernt, die verwegensten Schnittideen umzusetzen. Also fährt sie nicht nur regelmäßig nach Thüringen, sondern auch ins polnische Poznan. Dort besucht sie ein Institut, das sich der Leinenforschung verschrieben hat. Vor Lisa Winkel wurden aus den Stoffen genau die Kleidungsstücke gemacht, die man mit Leinen verbindet: weite Zelte und Hemden in Unfarben. Bei Tjelma gibt es für den nächsten Sommer blau-weiß gestreifte Wickelkleider, die wunderbar mit den fast transparenten Pullovern kontrastieren. Für das Lochmuster ließ sich die Designerin von alter Herrenunterwäsche inspirieren.

Dass Lisa Winkel mit ihrer Kleidung aus Wolle derzeit genau richtig liegt, könnte auch mit ihrer Experimentierfreude zusammenhängen, neue Muster, Materialien und Formen auszuprobieren. Strick war lange eben nur der dunkelblaue V-Ausschnitt-Pullover – gern als Basic von Benetton. Eben ein Kleidungsstück, das man vor allem zu Jeans kombiniert. Jetzt sieht man nicht nur auf den internationalen Laufstegen, dass man mit Wolle mehr herstellen kann als einen Pullover zum Drüberziehen, wenn es kalt wird. Eigentlich brauchen wir nur noch einen harten Winter.

Mehr Infos: www.tjelma.com

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