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Simon Rattle

© Stephan Rabold

Die Philharmoniker beim Musikfest: Zu Gast bei Fremden

Vierter und letzter Teil des Schumann-Brahms-Zyklus beim Musikfest: Auch zum Finale gelingt den Philharmonikern nicht der Befreiungsschlag.

Viel Anlass zu Ratlosigkeit und Schulterzucken hat der vierteilige Schumann-Brahms-Zyklus der Berliner Philharmoniker bisher geliefert – obwohl er doch als Höhepunkt des Musikfests geplant war. Es sollte nicht sein: Auch beim Finale mit den beiden vierten Symphonien am Sonntagabend in der Philharmonie will kein Befreiungsschlag gelingen. Zwar neigt sich Simon Rattle mit nahezu buddhistischer Gelöstheit seinem Orchester zu, folgt den Tönen mit liebender, entrückter Miene, aber was erklingt, spricht eine andere, wesentlich gröbere Sprache. Problematisch vor allem die übergroße Freiheit jeder Stimmgruppe, die immer wieder zu Anarchie führt. Und das Affentempo, mit dem Rattle durch Schumanns d-Moll-Symphonie peitscht.

Sicher, man muss das nicht so langsam dirigieren wie einst Celibidache mit den Münchner Philharmonikern, obwohl auf diese Weise verborgene Juwelen gehoben wurden. Aber Rattle ackert mit einer irrsinnigen Gehetztheit an jedem möglichen Erkenntnisgewinn vorbei. Warum, fragt man sich, wählt er überhaupt die frühe Fassung von 1841, die für ihn voller „Leichtigkeit, Anmut und Schönheit“ ist, wenn er eben diese Qualitäten nicht zum Leuchten bringen mag? Es gleicht einer Abfertigung, die Musik rauscht ohne Dringlichkeit vorüber.

Brahms Vierte gelingt besser. Zwar macht sich auch in der e-Moll-Symphonie ein schwer beherrschbarer Drang zum Pompösen und Knalligen bemerkbar, zur Überwältigungsästhetik, zu fetten Farbklecksen statt lichter Pastelltöne. Aber insgesamt gestattet Rattle sich und den Philharmonikern mehr Zeit, die Motive entwickeln sich organischer auseinander, sind nicht, wie bei der Schumann-Interpretation, klotzig nebeneinandergestellt. Auch jetzt sind es wieder die kleinen, eingesprengten Soli, an die sich die größte Hoffnung knüpft: die makellosen Hörner zu Beginn des Andante oder Emmanuel Pahuds Flöte im vierten Satz – unterfüttert vom goldbraunen Klang der Streicher, mit Daniel Stabrawa als Konzertmeister.

Zugleich ist es aber auch erwartbar. Wenn die Berliner Philharmoniker Brahms spielen, wird dem Publikum ein edel-satter Klang beschert, Routine auf hohem Niveau. Erhellende Bezüge zwischen den beiden romantischen Galionsfiguren des 19. Jahrhunderts, dem impulsiv-spontan komponierendem Schumann und dem weit älter gewordenen, in zunehmender protestantischer Verhärtung an jedem Einfall meißelnden Brahms, haben sich jedoch kaum ergeben.

Eher erlaubt die Bilanz dieses Schumann-Brahms-Projekts – dem die Veröffentlichung des Schumann-Symphonien-Schubers im neuen Philharmoniker-Label vorausging – Erkenntnisse über das Orchester selbst. Ihren Brahms haben die Berliner Musiker drauf, Schumann hingegen schon weniger. Was auch ein Versprechen sein kann, eine Chance. Die Brüche und Leerstellen in der professionellen Orchestermaschinerie. Das produktive Fremdeln.

Der Zyklus wird noch einmal gespielt, vom heutigen 23. bis 26. September, Philharmonie, jeweils 20 Uhr. Es gibt Restkarten.

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