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Barbi Marković beim Ablesen ihrer Dankesrede, die sie vorher in der Kantine der Messe schrieb.

© dpa/Hendrik Schmidt

Die Vielfalt der Preise bei der Leipziger Buchmesse: Mini und Miki vor Wolf und den anderen

Warten auf die Meisterwerke: Barbi Marković mit „Minihorror“, Tom Holert mit „ca 1972“ und Ki-Hyang Lee für ihre Übersetzung von Bora Chungs „Der Fluch des Hasen“ gewinnen die Preise der Leipziger Buchmesse.

Wenn es in einer fernen Zeit einmal einen Preis für die schönste Preisrede geben sollte, wäre die 1980 in Belgrad geborene und in Wien lebende Schriftstellerin Barbi Marković ganz klar die Top-Favoritin.

Prosaische Dankesrede

Anders als vorher der überraschte Autor Tom Holert, der für seinen Text-und Bildessay „ca 1972. Gewalt-Umwelt-Identität-Methode“ den Sachbuchpreis bekam, und die noch überraschtere, weinende Übersetzerin Ki-Hyang Lee (für ihre Übertragung von Bora Chungs „Der Fluch des Hasen“ aus dem Koreanischen) hatte Barbi Marković, wie sie sagte: „in gut investierten zehn Minuten in der Kantine“, eine Dankesrede vorbereitet, nachdem ihr in der Glashalle der Leipziger Messe der Preis in der Kategorie Übersetzung für ihr Buch „Minihorror“ zugesprochen worden war.

Diese Rede war eine gewissermaßen prosaische. Sie gab kongenial den Sound von „Minihorror“ wieder, mit Mini und auch ihrem Freund und Lektor Miki abermals als Hauptfiguren: „Mini bekommt den Preis der Leipziger Buchmesse und sie muss eine Rede halten“, hob Barbi Marković an, „sie stellt in der Kantine etwas zusammen, aber das ist keine Rede, was ist das, fragen die Leute, es ist nicht lektoriert, Mini liest etwas vom Handy ab, alle schauen erwartungsvoll, sie hoffen doch noch auf eine sehr gute Rede, die alle Probleme der Gegenwart lösen wird.“

Comic in Prosaform

Das aber tut Mini nicht. Die Gegenwartsprobleme bleiben, die Armut und die Kriege. Nicht einmal bedanken tut Mini sich bei ihren Leuten vom Verlag und anderen, sie vergisst das einfach (sagt aber immerhin: „Ihr wisst, wer ihr seid“!), und es kommt zu einem schrecklichen Niedergang von Mini. Es ist ein Debakel, der einzige Horror, „Mini muss den Preis zurückzahlen..., Mini weint, sie wünscht sich, sie hätte nie einen Preis bekommen.“

Barbi Marković aber hatte zunehmend ihren Spaß bei der Rede.

Tatsächlich hat man den auch bei der Lektüre von „Minihorror“, so stilsicher wie Marković ihren prosaischen Comic erzählt, so perfekt sie mit einfachsten Sätzen changiert zwischen Alltag und Existentialismus. Alles drin bei Mini und Miki, diesen widerborstigen Witzfiguren mit ihrem Belgrader (Mini) und steirischem (Miki) Hintergrund: Klimawandel und Krieg, das Verschwinden der Mini-Pinguine und die Superkräfte im Internet, das kleine Deo, die Blondierung beim Friseur und der Einkauf im spätkapitalistischen Möbelhaus: „Manche Unternehmen sind tief, in ihnen gehen Leben verloren. Bei IKEA erschöpfen sich Kinder in den Kinderecken, während die Eltern sich zu Tode hetzen, um das richtige Produkt zu finden.“

„Minihorror“ ist schön popaffin, was auch die 105-Punkte-Liste am Ende beweist (unter 104 steht: „Steckt euch eure generationenübergreifenden Familienstorys in den Arsch“), enthält Bonusmaterial und darf getrost repräsentativ für „die rasant unterschiedlichen und markanten Spielformen des Erzählens“ stehen, wie die Jury-Vorsitzende Insa Wilke noch meinte sagen zu müssen.

Auch wieder dabei: Dinçer Güçyeter

„Lassen Sie sich nicht erzählen, dass es in der deutschsprachigen Literatur diese Vielfalt nicht gibt“, fügte Wilke an, um gleich noch auf den danach folgenden Kurzfilm zu verweisen. In diesem konnte sich der Vorjahressieger Dinçer Güçyeter noch einmal selbst und seine Prosa präsentieren. Warum bloß? Ob das nötig war? Als ob jemand diese Jahr für Jahr von Buchpreisjurys beschworene Vielfalt der deutschsprachigen Literatur noch bestreiten würde, selbst wenn die ewigen generationenübergreifenden Familiengeschichten natürlich weiterhin erzählt werden. Nur eben auch von einem Dinçer Güçyeter, einer Ronya Othmann, einer Dana von Suffrin. Die Vielfalt allerdings ist das eine. Das andere das, was die Band Tocotronic mit einer Zeile schön auf den Punkt gebracht hat: „Keine Meisterwerke mehr, die Zeit ist schon längst reif dafür.“

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