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Zu Hilfspolizisten ernannte SA-Männer nehmen nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler am 30. Januar 1933 Kommunisten fest.

© imago stock&people

Doppelmord in der Wallstraße: Ein Roman über die Verfolgung der Kommunisten in der frühen NS-Zeit

Jan Petersen schrieb das Buch „Unsere Straße“ 1933/34 in steter Angst vor Enttarnung. Unter abenteuerlichen Umständen gelangte sein Manuskript ins Ausland und wurde dort veröffentlicht.

Am späten Abend des 30. Januar 1933, nach dem Fackelzug durchs Brandenburger Tor, nahm der berüchtigte SA-Sturm 33 beim Rückmarsch in sein Charlottenburger Sturmlokal einen Umweg durch die nahe Wallstraße.

Eine Provokation: Die heutige Zillestraße war mit ihrer überwiegend proletarischen Bevölkerung eine Hochburg der Kommunisten. Es kam zu Zusammenstößen, Schüsse fielen, der SA-Mann Hans Maikowski, Anführer des Sturms, und der den Marsch begleitende Polizist Josef Zauritz stürzten tödlich getroffen zu Boden.

Ein Todesschütze wurde nicht ermittelt

Die NS-Propaganda stilisierte die Toten umgehend zu „Blutopfern“ und „Martyrern“, inklusive Trauerfeier mit Hitler & Co. im Berliner Dom und Umbenennung der Wall- in Maikowskistraße samt Enthüllung einer Gedenktafel. Den angeblichen kommunistischen Mördern wurde der Prozess gemacht, der mit langen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen endete, obwohl kein Schütze ermittelt wurde.

Die Vorgänge um den Doppelmord bilden den roten Faden des Romans „Unsere Straße“ von Jan Petersen, genauer: des „Tatsachenromans“, wie der Jaron Verlag ihn nennt, in dessen „Berlin Bibliothek“, spezialisiert auf zu Unrecht vergessene Bücher, er jetzt wiederveröffentlicht wurde. Für den Autor selbst, nach dem Exil erster Vorsitzender des in der DDR gegründeten Deutschen Schriftstellerverbandes, war es eine „Chronik - Geschrieben im Herzen des faschistischen Deutschlands 1934/34“.

Schon eine Schreibmaschine war verdächtig

Ein Buch also, das nicht mit Muße am heimischen Schreibtisch entstehen konnte, in dem der Autor, damals führendes Mitglied des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands, den vergeblichen Widerstand der KPD-Genossen und ihre Verfolgung schilderte, ständig von Enttarnung bedroht – selbst die Geräusche der Schreibmaschine, ja sogar deren Besitz konnten verdächtig machen. Das Manuskript, ein spannendes Zeitdokument, gelangte unter abenteuerlichen Bedingungen ins Ausland, fand dort erste Verleger, kam schließlich 1947 im Ost-Berliner Dietz Verlag heraus.

Eine klassisch konstruierte Handlung darf man angesichts dieser äußeren Bedingungen nicht erwarten. Aus der Perspektive des Autors beschreibt „Unsere Straße“ episodenhaft den von ihm selbst durchlittenen Überlebenskampf in der von Gestapo und SA voller Hass verfolgten Gemeinschaft der „roten“ Wallstraße.

Es ist ein bedrückender, von Armut, Angst, Misstrauen und ständiger Sorge vor Denunziation geprägter Alltag. Immer wieder verschwinden Bewohner, landen in den ersten provisorischen Konzentrationslagern wie dem in der Schöneberger General-Pape-Straße oder im Charlottenburger Volkshaus, einst von der SPD gegründet, nun als Versammlungs- und Folterstätte der braunen Schläger missbraucht und nach dem vermeintlichen „Märtyrer“ Maikowski benannt.

Gab Goebbels den Mordauftrag?

Die Kommunisten haben stets bestritten, für den Doppelmord an ihm und Zauritz verantwortlich zu sein, sahen beide als Opfer verirrter SA-Kugeln an. Auch Jan Petersen, der, wie er schreibt, die Schüsse selbst hörte und die Männer zusammensacken sah, ging davon aus. Spätere Forschungen haben anderes ergeben. Demnach wusste schon die Gestapo, dass nicht Kommunisten geschossen hatten, verschwieg dies aber.

Mehr noch: In einem Gutachten, das der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta und sein Kollege Rainer Orth von der Berliner Humboldt-Uni 2016 zum politischen Verhalten des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen vorlegten, werden auch Aussagen von ehemaligen SA-Männern bei erneuten Ermittlungen der West-Berliner Justiz in den 1960er Jahren erwähnt.

Demnach soll der tatsächliche Todesschütze, der SA-Mann Alfred Buske, gezielt geschossen haben, um mit Maikowski den persönlichen Feind eines hohen NS-Funktionärs auszuschalten. Der Name des mutmaßlichen Auftraggebers: Josef Goebbels, Gauleiter von Berlin.

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