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Chefdirigentin Joana Mallwitz bei der Spielzeiteröffnung im Konzerthaus Berlin.

© Simon Pauly

Energie, die aus den Sitzen reißt: Joana Mallwitz startet umjubelt als Chefdirigentin am Konzerthaus

Drei erste Symphonien und Jubel von Beginn an: Joana Mallwitz begeistert bei ihrem Einstand als Chefdirigentin des Konzerthausorchesters Berlin.

Jubel begleitet ihren ersten Auftritt, und dann, drei Symphonien später, bricht am Gendarmenmarkt ein wahrer Sturm der Begeisterung los: Joana Mallwitz tritt ihr Amt als Chefdirigentin des Konzerthausorchesters an, und das Berliner Publikum liegt ihr schon am ersten Abend zu Füßen.

Aufregende Wochen liegen hinter der bald 37-jährigen Dirigentin, ein emotionaler Abschied von Nürnberg, bei dem 65.000 Menschen ihre Generalmusikdirektorin noch einmal im Open-Air-Konzert erleben wollten, gefolgt von einer eine Flut von Interviewterminen, während in Berlin schon ihr Gesicht plakatiert wurde.

Dass Konzerthaus-Intendant Sebastian Nordmann mit der Verpflichtung von Mallwitz ein Coup gelungen ist, soll in der Stadt niemand übersehen. Passiert man am U-Bahnhof Stadtmitte ihre Fotoserie mit leidenschaftlichen Dirigiergesten, bei denen das blonde Haar aus dem schwarzen Hintergrund zu lodern scheint, zögert man kurz: Ist das noch Joana Mallwitz oder schon Cate Blanchett im Kinofilm „Tár“?

Die Versuche, Berlins erste Chefdirigentin als Star in Szene zu setzen, entbehren nicht unfreiwilliger Komik: „Jeder Ton ein Paukenschlag“ wirbt ein Plakat mit musikalischem Irrwitz, die Saisonbroschüre zeigt die hochgewachsene Dirigentin auf einem Stuhlstapel unter der Überschrift „Das nächste große Ding“. Die Erwartungen an Joana Mallwitz sind groß. Kultursenator Joe Chialo sagt zur Begrüßung nicht viel, betont aber die Vermittlungsfähigkeiten der neuen Chefin und traut ihr zu, Menschen unabhängig von ihrer Vorbildung für Musik zu begeistern.

Konzerteinführungen sind ab sofort Chefinnensache

Tatsächlich gibt Mallwitz auch vor ihrem Antrittskonzert eine eigene Einführung, schlägt dabei in die Tasten eines Steinways, um eine Nähe zu Weills nahezu unbekannter 1. Symphonie zu erzeugen. „Wissen Sie, wir könnten über jeden Akkord eine halbe Stunde sprechen“, sagt sie lachend und man glaubt es ihr sofort.

20 ihrer Konzerte wird Mallwitz persönlich einführen, obwohl sie vor Auftritten eigentlich nicht sprechen kann, sich krank fühlt, ehe die ersten Klänge das Adrenalin zurückbringen. Auch ihre „Expeditionskonzerte“ und „Night Sessions“ leben davon, dass die Dirigentin über Musik spricht. Man wird von Mallwitz also in jeder Hinsicht viel hören und ihre Leidenschaft für Partituren erleben.

Die begann als Teenager mit der Lektüre von Schuberts „Unvollendeter“ in einem Studiengang für musikalisch Hochbegabte, zusammen mit dem Pianisten Igor Levit, der beim Antrittskonzert im Parkett sitzt. Mallwitz dirigiert komplett frei. Die Partituren leben in ihrem Kopf und lassen den Körper immer wieder auf dem Podium springen.

Im Konzerthausorchester waren nicht alle überzeugt von der Entscheidung für die Neue, so hört man; manch einer hätte sich mehr Erfahrung am Pult gewünscht. Doch Mallwitz steht vor Orchestern, seit sie 20 ist, sie hat an Opernhäusern gelernt, wie man auch ohne große Probenzeit Abende retten, ja erobern kann.

Das Orchester reagiert hörbar animiert auf den schier endlosen Elan

In die Konzentration auf ein sinfonisches Repertoire wächst sich noch hinein, man merkt es vor allem daran, dass sie unglaublich viele Zeichen gibt, größte Zuwendung und zugleich Kontrolle von sich erwartet. Nach den Eschenbach-Jahren, in denen das Orchester seinem Chef nach Kräften aufhelfen musste, reagieren die Musiker:innen auf diesen schier endlosen Elan hörbar animiert.

Als erste gemeinsame Musik hat Mallwitz Prokofjews „Symphonie classique“ ausgesucht, eine spielerische Verbeugung vor der Vergangenheit, getragen von lichtem Witz. Das Orchester leuchtet auf, spurtet los, legt sich in die Kurve. Bei Weills lange verschollener „Berliner Symphonie“ verwendet sie viel Hingabe für das von ihr geliebte sangliche Klangbild, wo härtere Schichtungen mehr Eindringlichkeit hätten bringen können.

Mit Mahlers Erster dringt sie vor in ein Repertoire, bei dem bislang Iván Fischer Maßstäbe setzte am Konzerthaus. Die neue Chefdirigentin will gleich ran an die Brocken des sogenannten Kernrepertoires, und sie tut es mit Akribie und Beschwörung aller positiven Kräfte. Joana Mallwitz‘ Energie hebt die Leute aus den Sitzen, während Mahlers dunkle Seite unerkannt über die Baustelle des Gendarmenmarkts streicht.

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