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Im Museum Punta della Dogana. Besucher stehen vor dem Werk „Camata“ von Pierre Huyghe. Es zeigt ein menschliches Skelett, um das herum Roboterarme eine Art bizarres Beerdigungsritual verrichten.

© dpa/Sabine Glaubitz

Farbexplosionen und KI: In Venedig eröffnen die ersten Schauen zur Biennale

Im Palazzo Grassi sind Werke von Julie Mehretu zu sehen, in der Punta della Dogana Arbeiten von Pierre Huyghe. Sie lassen das Motto der internationalen Kunstausstellung „Fremde überall“ schon mal anklingen.

Ohne Superlative geht es beim Kunstsammler François Pinault wohl nicht. Zumal in Venedig in einem Jahr der Kunstbiennale. In den beiden Museen des französischen Milliardärs an der Lagune eröffneten vorab die jeweils größten Ausstellungen zweier Künstler in Europa. Offizieller Start der Biennale ist dann am 20. April.

Im Palazzo Grassi zeigt die New Yorker Malerin Julie Mehretu ein „Ensemble“ mit mehr als fünfzig ihrer eigenen Arbeiten aus drei Jahrzehnten, ergänzt um Bilder und Skulpturen von sieben engen Freunden und Weggefährten. Und in der Punta della Dogana, dem ehemaligen Zollhaus der Seerepublik, zeigt Pierre Huyghe, ein nach Santiago de Chile verpflanzter Pariser, unter dem Titel „Liminal“ seine bisher größte Werkschau. Beide Künstler sind in der Sammlung des 87-jährigen Pinault gut vertreten, haben aber für Venedig neue Werke produziert.

„Liminal“ von Pierre Huyghe, die Simulation einer gleichnamigen Figur.
„Liminal“ von Pierre Huyghe, die Simulation einer gleichnamigen Figur.

© Courtesy of the artist; Anna Lena Films, Paris © Pierre Huyghe, by SIAE 2023

Im Wechselbad der Gefühle

Wer beide Häuser hintereinander besucht, erlebt ein Wechselbad der Gefühle. Julie Mehretus farbexplosive Leinwände im Palazzo Grassi auf der einen Seite des Wassers, Pierre Huyghes düstere, mit KI erstellte Filme über eine unmenschliche ferne Zukunft in der Punta della Dogana auf der anderen Seite, wo Besucher buchstäblich von der Dunkelheit verschluckt werden.

Der Pariser Künstler Pierre Huyghe. Seine Werke sind in der Punta della Dogana, dem ehemaligen Zollhaus der Seerepublik, zu sehen.
Der Pariser Künstler Pierre Huyghe. Seine Werke sind in der Punta della Dogana, dem ehemaligen Zollhaus der Seerepublik, zu sehen.

© Ola Rindal

Doch in beiden Ausstellungen klingt bereits das Motto der diesjährigen Biennale „Fremde überall“ („Stranieri Ovunque“) an, das sowohl Ausländer als auch das Fremde in uns meint.

Pierre Huyghes Filmvisionen gehen dabei sehr weit. Er eröffnet seine Schau „Liminal“ mit der gleichnamigen Simulation einer Figur in menschlicher Gestalt, die von allem befreit ist, ohne Gehirn und Gesicht, und wie aus dem Nichts erscheint. Langsam bewegt sie sich als „Vehikel zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen, was sein könnte oder nicht“, erklärt der 61-Jährige. Dass der KI-generierte nackte Körper an den einer schönen Frau erinnert, sei keine Botschaft. Eingeweihte erkennen darin aber eine Hommage an Huyghes Frau, die chilenische Schauspielerin Valentina Muhr.

KI schneidet den Film

Ebenfalls für Venedig entstand der Film „Camata“ über ein menschliches Skelett in der chilenischen Wüste Atacama, bei dem die KI drei Kameras übernahm und den Film ständig neu schneidet. Rätselhaft bleibt dagegen der Auftritt zweier Statisten, die mit goldenen Masken durch die Ausstellung streifen und mit unsichtbaren Sensoren externe Daten sammeln, um am Ende eine noch unbekannte Sprache zu entwickeln. Pierre Huyghes Visionen sind verführerisch und technisch raffiniert inszeniert, bleiben in Venedig aber ohne Vorwissen schwer verständlich.

Dagegen erschließt sich im Palazzo Grassi Julie Mehretus großartige, farbexplosive abstrakte Malerei sogleich. Die 53-Jährige reflektiert darin durchaus weltliche Probleme wie Flüchtlingsströme, Klimakatastrophen, Kriege, Revolten und ihre eigene Biografie. Ihr Vater war Professor für Wirtschaftsgeografie in Äthiopien, ihre Mutter US-amerikanische Montessori-Lehrerin. Sie war sieben, als die Familie vor dem Bürgerkrieg in die Vereinigten Staaten floh. Ihre Eltern konnten erst 1967 heiraten, nachdem das Gesetz für Mischehen aufgehoben war.

Experimente mit Bildträgern von Julie Mehretu.
Experimente mit Bildträgern von Julie Mehretu.

© Foto: Tom Powel Imaging; Courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery, New York

Stadtpläne, Wetterkarten, Graffiti, Höhlenmalerei und bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasene Nachrichtenbilder etwa über Kriegsaktionen in Syrien nutzt Mehretu als Bildquelle. In ihren neuen Arbeiten „TRANSpaintings“ experimentiert sie mit durchscheinenden Bildträgern und Farben.

Skulpturale Rahmen von Nairy Baghranian

Die iranisch-deutsche Bildhauerin Nairy Baghranian hat dafür skulpturale Rahmen gebaut. Als echte Kollaboration sind die Werke von Mehretu allerdings nicht kenntlich gemacht. Dafür zeigt die Berliner Bildhauerin ihre Aluskulpturen noch einmal unabhängig in einem anderen Raum.

Die Ausstellung ergänzen außerdem Filme der Britin Tacita Dean, eine Videoarbeit der Dichterin Robin Coste Lewis, Skulpturen der Palästinenserin Huma Bhaba, der beiden Amerikaner Paul Pfeiffer und David Hammons sowie Textilarbeiten der Australierin Jessica Rankin, der ehemaligen Frau von Mehretu. Star der Show aber bleibt Julie Mehretu.

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