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Als man sich noch von Ufer zu Ufer zu erreichen suchte. Lorenzo Quinns Beitrag  „Building Bridges“ im Arsenale auf der Biennale von 2019, die unter dem Titel „May you live in interesting times“ stand.

© Getty Images/Simone Padovani/Awakening

Vorschau auf die Biennale di Venezia: Wo die Welt noch in Ordnung scheint

Die Hauptausstellung „Fremde überall“ gibt marginalisierten Künstlern eine Bühne. Das könnte schon mit der nächsten Ausgabe unter einem rechten Präsidenten anders werden.

Mit noch mehr Spannung als sonst wird die Biennale di Venezia in diesem Jahr erwartet: Wie wird sie reagieren auf die jüngsten politischen Ereignisse? Welche Folgen hat die militärische Auseinandersetzung in Israel und die wachsende Polarisierung des Kunstbetriebs auf die Präsentation in den internationalen Pavillons und für die Hauptausstellung? Wird Italiens Rechtsruck auch in den Giardini spürbar sein, nachdem Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bereits die ersten ihr ergebenen Kulturfunktionäre eingetauscht hat?

Zumindest für die Hauptausstellung gilt vorläufige Entwarnung, der scheidende Biennale-Präsident Roberto Cicutto konnte noch unbehelligt im Dezember 2022 den Brasilianer Adriano Pedrosa als Kurator bestimmen. Seine eigene Abberufung nach nur vierjähriger Amtszeit wurde erst im vergangenen Oktober bekannt gegeben.

Der Präsident muss gehen

Wenn der sizilianische Journalist und Meloni-Vertraute Pietrangelo Buttafuoco als designierter Nachfolger zur Eröffnung der Biennale im April sein Amt antritt, dann dürften bereits andere Töne zu hören sein. Aber erst in den nächsten Ausgaben wird sich der Kurswechsel niederschlagen.

Nur zwischen den Zeilen ließ der scheidende Präsident erahnen, welchem politischen Druck die Organisation bereits ausgesetzt ist. „Die Autonomie des künstlerischen Leiters ist die stärkste Garantie dafür, dass die Idee der Biennale di Venezia weiterhin funktioniert und manchmal überraschende Effekte erzielt, auch auf diplomatischer und politischer Ebene“, sagte er auf der Pressekonferenz in Venedig, auf der Adriano Pedrosa sein Programm vorstellte.

Der Kurator der Hauptausstellung, die im internationalen Pavillon in den Giardini und im Arsenale, der ehemaligen Seilerei, zu sehen sein wird, zieht jedenfalls sein Ding noch durch. Bereits der Titel „Fremde überall“ dürfte in konservativen Kreisen als Kampfansage verstanden werden. Pedrosa geht sogar noch weiter, indem er offensiv mitteilt, er sei der erste offen homosexuelle Kurator einer Biennale-Hauptausstellung. Endlich!

„Fremde überall“ lässt sich demnach auch als ein Bekenntnis in eigener Sache, denn mit fremd ist nicht nur die Erfahrung gemeint, andernorts Ausländer zu sein, sondern als der Andere schlechthin zu gelten. Pedrosas Fokus richtet sich auf queere, Außenseiter- und indigene Künstler.

Kurator Adriano Pedrosa macht sein Ding

Als Brasilianer bringt der Kurator noch eine weitere Besonderheit mit. Noch nie war ein Südamerikaner künstlerischer Leiter der Biennale, bis auf den Nigerianer Okwui Enwezor 2015 kamen sie alle aus westlichen Ländern.

Von aktuellen politischen Entwicklungen lässt sich der Kurator deshalb auch nicht ablenken, er hat seine Mission. Er will marginalisierte Gruppen in der Kunst sichtbar machen und arbeitet hintereinander ab. Seine Ausstellung könnte zu den bestsortierten gehören und trotzdem hoch interessant sein.

So arrangiert er seine 332 Künstler systematisch um einen zeitgenössischen und einen historischen „Nucleo“. Der historische Kern ist wiederum in die Bereiche Porträt der Jahre 1905 bis 1990 und Abstraktion aufgeteilt. Hier will Pedrosa den Modernisten des Globalen Südens eine Bühne geben, die sich vom Norden zwar inspirieren ließen, aber nie seine Anerkennung fanden. Es gibt viel Neues kennenzulernen.

Ein wenig misstrauisch macht die dritte Sektion im „Nucleo Storico“, die der weltweiten italienischen künstlerischen Diaspora im 20. Jahrhundert gewidmet ist. Sollte sich da ein Kompromiss eingeschlichen haben, um die neuen Nationalstolz Italiens zu befriedigen und Parteigänger Melonis zu beschwichtigen?

Premiere für Benin, Äthiopien, Tansania, Osttimor

Hier liegt der Fokus bei textilen Arbeiten und Werken vornehmlich indigener Künstler, die miteinander verwandt sind. Auch das klingt alarmierend, werden doch auf einmal Blutlinien zum Auswahlkriterium. Und doch könnte es spannend sein, welche Rolle familiäre Nähe bei der Kunstproduktion spielt.

Die 60. Biennale di Venezia dürfte eine denkwürdige Veranstaltung werden. Die politischen Konflikte werden auch an diesen vermeintlich friedlichen Ort der Kunst schwappen, der bisher immer die Koexistenz der Nationen beschwor. Neunzig Länder nehmen in diesem Jahr teil, zum ersten Mal überhaupt Benin, Äthiopien, Tansania und Osttimor und zum ersten Mal mit einem eigenen Pavillon Nicaragua, Panama und Senegal.

Einen Moment schien dieses einvernehmliche Puzzle der Welt inmitten der Lagune von Venedig in Frage gestellt, als am Ende der Pressekonferenz eine Journalistin wissen wollte, wie denn die Sicherheit des israelischen Pavillons gewährleistet werde nach den jüngsten Vorkommnissen in Vicenza.

Präsident Cicutto hatte sich schnell gefangen und erinnerte daran, dass man wie bei Corona entsprechende Vorkehrungen treffen würde, kein Grund zur Sorge bestehe. Seine kurze Ära begann mit der Epidemie, sie endet mit nicht weniger beängstigenden Aussichten.

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