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SEK-Einsatz im baden-württembergischen Boxberg 2022. Schießerei bei der Festsetzung eines „Reichsbürgers“.

© dpa/Kohls

Fiktion oder Wirklichkeit?: Der Druck von rechts wird immer stärker

Hat der jüngste „Tatort“ mit seinem sinistren Plot um eine rechtsradikale Verschwörung übertrieben? Die Brisanz der Lage nährt diesen Vorwurf keineswegs

Dass die Demokratie in der Krise sei, ist zum Gemeinplatz geworden. Der ungenauen Diagnose folgt aber oft eine vage Therapie: Man müsse die „Polarisierung“ überwinden, wieder Vertrauen zueinander gewinnen, miteinander in Dialog treten und Kompromisse schließen. Alles richtig: Kompromisse sind das Lebenselixier funktionierender Demokratien. Nur braucht es dazu bekanntlich immer zwei, und die Rede von der Polarisierung unterstellt, da seien zwei Streithähne am Werk, die nur mal ein Bier miteinander trinken müssten. Dem ist nicht so - die Demokratie ist weltweit vor allem von Rechtsaußen bedroht.

Der jüngste „Tatort“ führte das Szenario eines rechtsradikalen Angriffs auf die Demokratie vor. Der designierte Präsident des Bundesverfassungsgerichts soll vergiftet werden. Die beiden Ermittler sind entsetzt über dieses große Ding, können aber den Mordanschlag nicht verhindern, zumal ihnen ein undurchsichtiger Verfassungsschützer und seine V-Leute in die Quere kommen. Der Täter: ein junger Ultranationalist. Die Komplizen: Geheimdienstler. Der Hintermann: ein reicher Waffenhändler. Alles reichlich übertrieben und konstruiert, fanden nicht wenige Zuschauer.

Übertrieben? Ja, aber nicht die Grundannahme. Es gibt in unserem Land rechtsradikale Kräfte, die den gewaltsamen Umsturz planen. Und sie verfügen über Waffen, haben ihre Leute in Polizei, Bundeswehr und Geheimdienste eingeschleust. Sie besitzen Finanziers und Sympathisanten in höheren Kreisen. Das alles ist bekannt, aber die Reichsbürger, welche die militante Herausforderung der liberalen Demokratie im Namen führen – zurück ins Deutsche oder Dritte Reich! – werden weiterhin als machtlose Randgruppe unterschätzt. Das war vor der Präsidentschaft Trumps und dem Sturm auf das Kapitol auch in den USA der Fall.

Der „Druck von rechts“ ist da. Als ich vor 20 Jahren ein Buch unter diesem Titel veröffentlichte, stand das unter dem Eindruck der Angriffe des rechtsradikalen Mobs auf die Flüchtlingsunterkunft in Rostock-Lichtenhagen 1992 und des dortigen Auftritts des Holocaust-Überlebenden Ignatz Bubis, damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden. Er beklagte zu Recht, weder der Bundeskanzler noch der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern hätten es für nötig erachtet, Solidarität mit den Drangsalierten zu bekunden. Im Gegenteil, in der Folge wurde das Asylrecht verschärft und die Aggression gegen Fremde zum Anliegen „besorgter Bürger“ geadelt.

Seither ist der Druck von rechts noch gewachsen. Während damals die Republikaner genau wie die NPD in die Bedeutungslosigkeit absanken, sitzt heute eine in ihrem Flügel um Björn Höcke neofaschistische Partei, eine NPD 2.0 fest im Bundestag und besitzt in einigen ostdeutschen Ländern die relative Umfragemehrheit. Auf die deutsche Einheit folgten offiziell 109 rechtsextrem motivierte Morde. Zeitungsrecherchen setzen 187 Todesopfer an, die Amadeu Antonio Stiftung bis Ende 2021 mindestens 219 Todesopfer. Darunter war die in ihren Verästelungen bis heute nicht aufgeklärte NSU-Mordserie.

Die Demokratie schwächelt, da sie so viele Krisen auf einmal zu managen hat, aber bedroht ist sie auch in Deutschland massiv von Rechtsaußen. Das Symmetrieschema, das linken Extremismus reflexhaft mitdenkt, verfehlt die Lage, und der Islamismus, der „Tod den Juden“ schreit und Homophobie verbreitet, ist nichts anderes als eine religiös drapierte Variante völkischen Nationalismus. Anders als vor 20 Jahren gibt es für rechten Terror heute eine parlamentarische Basis, ein Umfeld von Verschwörungsgläubigen und einen wachsenden Verdruss an der Lebens- und Herrschaftsform der Demokratie. Es gibt eine nach rechts verrutschte DDR-Nostalgie, eine nationalistische Erzählung von der Invasion durch Immigranten und nicht zuletzt ein europäisches Umfeld, in dem eine schrittweise und ganz friedliche Machtübernahme bevorstehen könnte.

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