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„Wetten, dass..?“ Thomas Gottschalk auch bei seinem Abschied modisch überraschen wird?

© Getty Images/RONNY HARTMANN

Finale bei „Wetten, dass..?“: Dem Gottschalk sei Dank

Thomas Gottschalk gab den Deutschen, wovon sie selber gerne mehr hätten: Leichtigkeit. Am Samstag verabschiedet er sich von „Wetten, dass..?“.

Dieser Text erscheint unter Vorbehalt. Thomas Gottschalk hat angekündigt, dass die Moderation der ZDF-Show „Wetten, dass..?“ an diesem Samstag definitiv seine letzte werde. Vorbehalt deswegen, weil der Moderator sich schon 1992 und 2011 verabschiedet hatte, um dann aber, als erst Wolfgang Lippert und später Markus Lanz an der Aufgabe scheiterten, 1994 und 2021 zurückzukehren.

Eine Unterhaltungssymbiose der unverwechselbaren Art

„Wetten, dass..?“ brauchte Thomas Gottschalk und Thomas Gottschalk brauchte „Wetten, dass..?“. Und beide zusammen wurden vom ZDF und vom Publikum gebraucht.

Es wäre alles andere als ein Wunder, wenn der Moderator mit weniger als Standing Ovations in der Messe Offenburg-Ottenau begrüßt und verabschiedet würde. Die Zuschauer sehen in Gottschalk und Show eine Unterhaltungssymbiose der unverwechselbaren Art. Der Moderator hat das Format – seit 1987 moderierte er 154 von insgesamt 218 Sendungen – zu seiner TV-Institution gemacht; aber weil das Sendekonzept aus Wetten, Acts und Couchgespräch, ersonnen von Premieren-Moderator Frank Elstner, sich bei aller Gottschalk-Grandezza immer behaupten konnte, muss das Ende vom Präzeptor der Showunterhaltung nicht das Ende von „Wetten, dass..?“ bedeuten.

Mit am berühmt-berüchtigsten geworden ist jene Wette vom 3. September 1988, als sich mit Bernd Fritz, ein Redakteur des Satiremagazins „Titanic“, in die Sendung geschlichen hatte. Er gab vor, Buntstifte an ihrem Geschmack erkennen zu können. Tatsächlich linste er unter dem Rand der Brille hindurch. Die Auflösung gab es allerdings erst in der nächsten „Titanic“-Nummer. Auch das gehörte zu Erfolgs-Emblemen der Show: Gesprächsstoff über die drei und mehr Stunden hinaus zu liefern.

In der Ausgabe vom Februar 2011 stürzte Wettkandidat Samuel Koch über ein Auto, verletzte sich sehr schwer, die Sendung wurde abgebrochen. Samuel Koch ist seitdem gelähmt. Gottschalk sagte in der darauffolgenden Sendung, es liege „ein Schatten über der Show“, das ZDF stellte „Wetten, dass..?“ vorerst ein – um die Show später wieder mit Markus Lanz aufzunehmen, als klar wurde, dass Samuel Koch die Schuld an seinem Unfall nicht dem Sender geben würde. Die Risikokultur der Wetten war jedoch vorbei.

Fehlbesetzung Markus Lanz

Der Neubeginn mit Markus Lanz war ein Fehlgriff, aber es brauchte doch 15 Folgen, ehe das ZDF und der Moderator ihren Fehler einsahen. Aber gerade diese Fehlbesetzung zeigte, dass es nur einen Moderator geben konnte, der „Wetten, dass..?“, sich selbst und das Publikum zum Strahlen brachte: Thomas Gottschalk.

Der gebürtige Bamberger ist ein instinktives Showtalent. Was er im Pop-Radio des Bayerischen Rundfunks improvisierte, in der Potpourri-Sendung „Na sowas“ weiterentwickelte, sollte er bei „Wetten, dass..?“ perfektionieren – seine ganz eigene Mischung aus Unernst, Schlagfertigkeit und Souveränität. Der Mann trug keinen Knopf im Ohr, mit dem ihn die Regie lenken konnte, Karten in der Hand ignorierte er gerne, und dass ihm seine Couch-Assistentin Michelle Hunziker helfen musste, die Gäste beim richtigen Namen zu nennen, nahm er gelassen hin. Dass manch scharfe Kritik auf dem Fuß folgte, ließ ihn wiederum nicht kalt, er ärgerte sich, retournierte und verwies gerne auf die hohe bis sehr hohe Millionenzuschauerquote. Wer so öffentlich, wer so prominent ist, wer sich so positioniert, der ist auch ein Boxsack für den Boulevard, die Fernsehkritik und die sozialen Medien.

Augenblickernst. In der „Wetten, dass..?“-Ausgabe stürzte Wettkandidat Samuel Koch schwer. Nach dem Unfall wurde Sendung abgebrochen, in der nächsten Ausgabe verkündete Thomas Gottschalk das (vorläufige) Ende von „Wetten, dass..?“ im ZDF.

© dapd/Hermann J. Knippertz

Gottschalk wusste, was er wollte, weil er wusste, was er konnte: Möglichst frei, fröhlich und funky eine Sendung zu moderieren, wo Menschen zeigten, mit welch unsinnigen Hobbys sie ihre Freizeit verbringen, wo der übliche Showmief vertrieben wurde, wenn Weltstars wie Michel Jackson, Cher oder Joe Cocker die landläufige Promi- und Wettpaten-Gilde von Boris Becker bis Iris Berben adelten. „Wetten, dass..?“ war in diesen Augenblicken bigger than german life. Ohne Chauvi-Sprüche ging es dabei selten ab, Gottschalk konnte besser unterhalten als sich mit seinen Gästen unterhalten.

Schon sein Erscheinen war ein Ereignis: Welches Outfit dieses Mal? Gottschalk war sein eigener Kostümball, da durfte der Schottenrock nicht fehlen. Die folkloristische Verwaltung seiner und seines Selbst gehörte immer dazu, wenn, wie er sagte, „platzende Seifenblasen“ präsentierte. Er war von Anbeginn der Peter Pan der deutschen Fernsehunterhaltung. Stets auf das Einverständnis des Publikums, ja die Identifikation mit demselben vertrauend, wenn er den Direktor im „Wetten, dass..?-Zirkus gab. Mit seinen Albatros-Armen umfing er alles und jeden.

Gottschalk wurde immer besser, je mehr schiefging. Aufmerksamkeitsstörungen wurden eingepreist vom Genie der kleinen bis großen Chaos-Bewältigung. Mit einem Schlag zum Fremdschämen, als Jerry Hall ihre Füße in den Schoß von Norbert Blüm legte und Gottschalk in ihren Pumps davon stakste und krähte: „Wir haben dieselbe Schuhgröße!“

Ich ergreife auch ein bisschen die Flucht bei ‚Wetten, dass..?

Thomas Gottschalk

Aber auch in seinen zwischen Peinlichkeit und parfümiertem Parlando schwankenden Momenten hat Thomas Gottschalk den Deutschen gegeben, wovon sie selber gerne selber hätten: Leichtigkeit. Der Filou unter den Moderatoren nahm der Welt für drei und mehr Stunden ihre Schwere.

So wie „Wetten, dass..?“ in seinen absurd-wahnsinnigen Wetten über die Ufer bürgerlicher Rationalität und Solidität trat, so unterlief  der Moderator jede Verbiesterung über das eigentlich Nichtige seiner Sendung. Die Show und ihr Gottschalk stehen für die Entkrampfung der deutschen Fernsehshowunterhaltung, der Horizont dieses Formats wurde geöffnet. Nicht anarchisch, dafür zuschauerfreundlich, jugendfrei, weswegen ein Wettvorschlag wie „Ich kann zehn Kerzen aus fünf Meter Entfernung auspinkeln“ nur ein Vorschlag blieb.

Gottschalks großes Talent war es, Generationen zu verbinden. Er war ein Moderator im Sinn des Wortes. Er verringerte die lebensweltliche Distanz zwischen Inge Meysel und Michael Jackson, zwischen Willy Millowitsch und Stephanie von Monaco. Reden bis hin zum Labern – das konnte bei manchem Gast zum Ermüdungsbruch führen, nicht aber bei Gottschalk. Dem war das ersichtlich wurscht, er wollte das letzte Wort haben und den letzten Witz reißen. Und er hielt nicht hinter dem Berg, was seinem Middle-of-the-road-Geschmack entsprach – also Status Quo statt Depeche Mode.

Ein früh katholisch-konservativ Sozialisierter, ein TV-Jesuit, der seine Mutter in hohen Ehren hielt, mit Bruder Christoph gute Werbegeschäfte machte und mit seiner Thea (unfassbare) 42 Jahre zusammen war. Schon in seiner Ausprägung als Familienmensch war Gottschalk seinem Publikum sehr nah.

Das ZDF hat offengelassen, wie es nach seinem Abschied mit „Wetten, dass..?“ weitergehen wird. Und Gottschalk betonte wieder und wieder, dass sein Abschied endgültig ist. In einem Interview mit der „Zeit“ sagte er, wenn jeder im Internet auf Sendung gehen könne, „braucht man keinen Gottschalk mehr“. „Ich ergreife da auch ein bisschen die Flucht bei ‚Wetten, dass..?’: Bevor ich nur noch Shitstorms erzeuge, weil ich Frauen ans Knie fasse, höre ich lieber auf.“ Diesmal sei es ein Abschied für immer.

Der Vater des Herrenwitzes

Er empfinde „eine gewisse Ängstlichkeit“, gegen den Zeitgeist zu verstoßen, räumte Gottschalk ein. „Ich gelte ja inzwischen als der Vater des Herrenwitzes, was ich nie sein wollte. Seit einer gewissen Zeit werde ich als alter, weißer Mann gesehen, der nichts begriffen hat. Ich will nicht auffällig werden auf meine alten Tage. Nach dem Motto: Er hat wieder dummes Zeug erzählt.“ Heute sei die Sozialisierung jüngerer Menschen anders.

Vielleicht stimmt es ja, dass Thomas Gottschalk bei „Wetten, dass..?“ abtreten muss, er, der 73-Jährige, der letzte Mohikaner einer vergehenden Lagerfeuer-Fernsehzeit. Weil er nicht mehr mit der Zeit gehen kann, weil er mehr Erinnerung als Gegenwart ist. Aber selbst wenn: Wer wollte diese sehr schöne Erinnerung aus seinem Fernsehgedächtnis streichen?

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