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Harris Dickinson als Carl und Charlbi Dean als Yaya in einer Szene des Films „Triangle of Sadness“.

© picture alliance/dpa/Alamode/Fredrik Wenzel

Folge 180 „Wochniks Wochenende“: Früher war alles … was früher war

Nostalgie gleich zum Jahresanfang? Unser Kolumnist sucht in Berliner Programmkalendern nach Spuren von früher.

Eine Kolumne von Thomas Wochnik

Hach, das letzte Jahr, das vorletzte erst und das davor! Früher war alles … was früher war. Zum Beispiel: verrauchte Kneipenabende mit Indie-Bands, die keiner kannte, Menschen, die neu in der Stadt waren und subkulturellen Anschluss statt bezahlbaren Wohnraum suchten. Die Jahreszahlen waren kleiner, die Kugel Eis gab es zu 70 Cent und der Schnee lag zentimeterdick – irgendwann. Was es im Großen und Ganzen, entgegen weitläufiger Meinung, nicht war: besser.

Samstagabend zeigt das Kino Babylon (Rosa-Luxemburg-Straße 30), weshalb die einst so romantisch verklärte Melancholie heute keinen Platz mehr im passiv sehnsüchtigen Blick zurück hat: In Ruben Östlunds „Triangle of Sadness“ (OmU, 2022) speist sich die titelgebende Sadness, also Trauer, einzig aus den Ungerechtigkeiten der Gegenwart, hinterlässt keine Sehnsucht nach irgendeinem Anno dazumal, sondern, wenn überhaupt, nach einer besseren Zukunft. Besser ist das, an der kann man nämlich noch arbeiten.

Auch Michael Hanekes „Das Weiße Band“ (2009) erinnert eindrücklich daran, dass es wohl noch nie schöner war, Kind zu sein, als heute. Hinter der sittsamen Fassade strenger protestantischer Erziehung in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wird Kindheit zu einem einzigen Parcours der menschlichen Abgründe, die auch schon dem deutschen Nationalsozialismus den Weg ebnen. Am Sonntag um 11 Uhr im Kino International (Karl-Marx-Allee 33).

Zurück in die Gegenwart holt uns Freitagabend im Donau115 (Donaustraße 115) das Duo Andi Haberl und Florian Zimmer: Erweitertes Notwist-Schlagzeug trifft hier auf Driftmachine- beziehungsweise Saroos-Modularsynthesizer – so heißen die Bands, für die die beiden Musiker sonst bekannt sind. Weniger Experiment als die wohlige, solide umgesetzte Erfüllung genretypischer Erwartungen bietet das Programm des Loge Kneipenkollektivs (Kinzigstraße 9). Die postpunkigen „Dünen“, das dreampopige „Team Drama“ und die psych-rockigen „Whisker“ dürften für den ein oder anderen Anflug Nostalgie in Sachen verrauchter Kneipenabende mit Indie-Bands und Menschen auf der Suche nach Anschluss sorgen. Früher, was auch immer das heißen mag, war schließlich nicht alles schlecht.

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