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Eine Szene aus Damiano Michielettos Orwell-Interpretation „Animal Farm“

© Ruth Walz

George Orwells „Animal Farm“ als Oper in Amsterdam: Wiehern, Grunzen, Quieken

Das Opernhaus Amsterdam stellt die Uraufführung der Oper „Animal Farm“ ins Zentrum seines Festivals wider Totalitarismus und Rassismus 

Von Eleonore Büning

In dem Buch „Mein Katalonien“ berichtet George Orwell vom Spanischen Bürgerkrieg. Er hatte sich, erst nur als Zeitungsreporter, dann mit der Waffe in der Hand, einer Arbeitermiliz angeschlossen. Eines Tages traf er auf einen Franco-Söldner, der gerade von der Latrine kam, panisch flüchtend. Orwell kann nicht abdrücken.

Er schreibt: „Ich war gekommen, um auf Faschisten zu schießen. Aber ein Mann, der mit Mühe seine Hosen hochzieht, ist kein ‚Faschist‘. Er ist doch ganz offensichtlich und vor allem eine verwandte Kreatur, ähnlich uns selbst, und man hat keine Lust, auf ihn zu schießen.“ 

Pflichtlektüre an den Schulen

Es sind Kriegserfahrungen wie diese, die Orwell zu der Erkenntnis brachten, dass jeder totalitäre „Ismus“ sich letztlich auf Propagandalügen stützt, die man als Grundübel bekämpfen muss. 1945 stellte er den Stalinismus in einer klassischen Tierfabel an den Pranger, die zu seinem literarisch größten Erfolg werden sollte. „Animal Farm“ wurde zur Pflichtlektüre an den Schulen, vielfach verfilmt. Jetzt ist erstmals eine Oper daraus geworden.

Singende Tiere sind eine Steilvorlage für die Bühne.

Damiano Michieletto, Regisseur von „Animal Farm“ in Amsterdam

Der Regisseur dieser effektfunkelnden Amsterdamer Produktion, Damiano Michieletto, zeigte sich überrascht, dass vor ihm niemand auf die Idee gekommen war. „Singende Tiere“, sagt er, seien doch szenisch „eine Steilvorlage“ für die Opernbühne. Der Komponist dagegen kannte die Story nur dem Namen nach, als De Nationale Opera (DNO) bei ihm anklopfte. Schließlich: In Russland fiel „Animal Farm“ unter Zensur.

So las Alexander Raskatov das Buch erst jetzt, mit mehr als siebzig Jahren Verspätung, er stellte fest: „It is about us.“ Orwells Warnung ist historisch noch lange nicht abgefrühstückt, im Gegenteil. 2023 sind wieder jede Menge alte „Ismen“ unterwegs und neue agressive Weltanschauungen wachsen nach im Netz. Sie alle berufen sich auf Fakes, verbreiten allein seligmachende „Wahrheiten“. 

Für letzteres schafft sich die Stalin-Figur der Parabel – der kaltschnäuzige Berkshire-Eber Napoleon – eigens einen Propagandaminister an: den geschmeidigen Squealer (ein schneidend überschnappender, hoher Tenor: James Kryshak). Er erfindet außer den sieben Geboten und der Lehre vom „Animalismus“ auch die Druckmaschine, die im achten Bild der Oper eine „Prawda“ nach der anderen ausspuckt. Napoleon, von Misha Kiria ausgestattet mit einem imposantem Bass, stilisierte sich von Anfang an als „Freund der Vaterlosen“ und „Quelle der Futtertröge“, er hatte, bewaffnet mit tiefem Posaunengedröhn, den Aufstand der Tiere im Handumdrehen umfunktioniert in eine neue Schreckensherrschaft der Schweine.

Die sturzdumme Stute Mollie ist ein Hit

Michieletto verlegt die Handlung in einen klinisch weiß marmorierten, quasi abwaschbaren Schlachthof-Saal, mit mobilen Wänden, was ihrer Lehrstückhaftigkeit zugute kommt. Die Partitur Raskatovs sieht für alle Akteure eine lautmalerische, „tierisch“ eingefärbte Artikulation vor, die von den Orchesterinstrumenten jeweils individuell akkompagniert wird. Im fortlaufenden Parlando entstand so eine umwerfende Kakophonie aus Quieken, Bellen, Wiehern, Grunzen, Gackern, Wimmern, Maulen und Murren, teils ohrenbetäubend, teils im eindrücklichstem Pianissimo. Solistische Nummern sind eher die Ausnahme, vielmehr ist Raskatov eine neuartige, für den Aufstand der Massen perfide passende Ensemble-Oper geglückt. 

Es gibt fünfzehn Haupt-, aber keine Nebenrollen in diesem oratorisch-chorischen Chaos. Jedes einzelne „Tier“, allen voran die sturzdumme Stute Mollie mit ihren klirrenden Königin-der-Nacht-Koloraturen, ist ein Hit für sich!  Wobei der „Nieuw Amsterdams Jeugdkoor“, der die Geflügelschar verkörpert, zwar keine fantastischen Masken trägt, wie die übrigen Tiere, dafür aber als Chor junger Pioniere eine hysterisch gackernde, paramilitärische Sondermission übernimmt. All diese karikaturhaft musikalischen Überzeichnungen, szenisch parallel geführt, funktionieren ausgezeichnet, trotz denkbar schneller Tempi, wozu die Umsicht des jungen Dirigenten Bassem Akiki entscheidend beiträgt.

Es ist dies Raskatovs vierte Oper und wohl endgültig sein Durchbruch als Komponist. Eine spektakuläre Produktion, sie wird in der nächsten Saison weiterwandern an die Wiener Staatsoper. Man kann jetzt schon die Uhr danach stellen, wann auch andere Häuser eine Neuinszenierung in Angriff nehmen. Ergänzend zu „Animal Farm“ erinnerte die Amsterdamer DNO im Rahmen ihres diesjährigen „Opera Forward Festival“ an einen anderen, mindestens eben so teuflisch haltbaren „Ismus“. 

Altmeister Peter Sellars gastierte mit seiner Produktion „Perle Noire“ vom Châtelet. Im Mittelpunkt: die fabelhafte Münchner Jazz- und Opernsängerin Julia Bullock. Sie zeichnete mit einer Handvoll Musiker, Leben und Schaffen der Ikone Joséphine Baker nach. Das muss man gesehen haben! „We are at war with Amerika“ skandiert Bullock, stellvertretend für alle african americains – eine wahrhaft atemraubende Lektion, in Monolog, Gesang und Tanz, darüber, wie man sich gegen Rassismus zur Wehr setzt.

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