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Amnon (Gia Agumava, links) auf der Terrasse seines Cafés.

© Salzgeber

Georgisches Filmdrama „Wet Sand“: Der Traum von einem eigenen Ort

Elene Naverianis Wet Sand“ spielt in einem Dorf an der georgischen Schwarzmeer-Küste, in dem traditionelle Hardliner auf queere Außenseiter*innen treffen. Ein starker, einfühlsamer Film.

Die Kinder verkünden die schreckliche Nachricht, als sei sie ein Grund zur Freude: „Tot, tot, tot. Er ist tot“, jubelt das Grüppchen, während es über den Strand auf die Terrasse des Cafés Wet Sand zurennt. Die dort sitzenden Männer verstehen erst nicht, wer gemeint ist. Dann wird klar: Es geht um Eliko, der hier auch oft zu Gast war. Wie er aus dem Leben ging, macht einer der Jungs zwischen seinen grinsenden Freund*innen vor: Der alte Mann hat sich aufgehängt.

Dass die Kinder so respektlos sind, hängt mit der Außenseiterstellung zusammen, die Eliko in dem kleinen Ort an der georgischen Schwarzmeer-Küste hatte. Dieser Status spiegelt sich auch in dem wenig später stattfindenden Terrassen-Gespräch der Dorfgesellschaft.

Der Ton ist abfällig, niemand will die Beerdigung des Toten organisieren. Einzig Amnon (Gia Agumava), der Besitzer des Cafés, spricht freundlich von ihm. „Er war mein treuer Gast“, sagt er und kündigt an, sich um die Trauerfeier zu kümmern, mit oder ohne Hilfe. Sein Gegenüber Dato (Zaal Goguadze) bleibt bei seiner ablehnenden Haltung.

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Amnon gegen Dato – so lautet von hier an die Konstellation in Elene Naverianis Drama „Wet Sand“, das in langen, ruhigen Einstellungen immer wieder auch die heranbrandenden Wellen des Schwarzen Meers in den Blick nimmt. Es ist eine archaische Welt, die nur im ersten Moment idyllisch wirkt.

Dass der Film in der Gegenwart spielt, wird nur klar, weil im Fernsehen hier und da mal von einer Pandemie oder von Umweltkatastrophen die Rede ist. Die einzige Person mit einem Smartphone ist Amnons Mitarbeiterin Fleshka (Megi Kobaladze), eine Einzelgängerin, auf deren Jacke in riesigen Lettern „Follow Your Fucking Dreams“ steht. Ihr Traum ist es, das Dorf zu verlassen.

Doch zunächst kommt jemand Neues in den Ort: Elikos Enkelin Moe (Bebe Sesitashvili). Als Amnon sie an der Bushaltestelle abholt, sieht sie mit ihren kurzen blondierten Haaren, der Lederjacke und der Sonnenbrille wie ein Rockstar aus. Die junge Frau aus Tiflis, die ständig raucht, wird ihm bei der Beerdigung helfen – und bald herausfinden, dass ihr Großvater für Amnon weit mehr war als nur ein treuer Gast.

Und so bilden Moe, Fleshka und Amnon schließlich eine Allianz der Anderen, zu der sich noch ein einsamer Fischer gesellt. Sie eint, dass sie mit der Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft leben müssen. „Ihr seid keine Familie, ihr seid die Pest“, schleudert Dato Moe beim Leichenschmaus entgegen.

Elene Naveriani (zusammen mit dem älteren Bruder Sandro auch für das Drehbuch verantwortlich) erzählt auf eindringliche Weise vom versteckten Leid, der Resilienz und der generationsübergreifenden Solidarität von Menschen, deren Begehren und Träume außerhalb traditioneller Vorgaben liegen.

Besonders bewegend ist dabei das Spiel von Amnon-Darsteller Gia Agumava, ein Lateinprofessor, der hier sein Leinwanddebüt gibt. Seine sanftwürdevollen Präsenz strahlt auf den gesamten Film ab und gibt ihm eine mitunter an frühe Aki-Kaurismäki-Werke erinnernde lakonische Warmherzigkeit.

Nach Levan Akins „Als wir tanzten“ (2019) ist „Wet Sand“ ein weiterer berührender queerer Film aus dem zuletzt starken georgischen Arthousekino. Obwohl beide Werke sehr genau auf Homofeindlichkeit schauen – vor allem auf die verinnerlichte –, öffnen sie auch eine hoffnungsvolle Perspektive. Was bei Akin der fulminante Schlusstanz seiner Hauptfigur war, ist bei Naveriani die Vision eines neuen Ortes, an dem zumindest die jüngeren Außenseiter*innen zusammenkommen können.

Auch ein Junge aus dem Dorf, der sich stets abseits von den Kindern hält und nie ein Wort sagt, findet sich dort ein. Vielleicht hat er die Chance, sein Anderssein zu leben – und nicht in der brüllenden Menge mitzulaufen.

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