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Die Fantasieuniform von Blaubart (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Mitte) zitiert das Kostüm des Titelhelden in der Kultinszenierung von 1963.

© Komische Oper/Iko Freese/Drama

"Herzog Blaubart" an der Komischen Oper: Ein Karren voller Wunder

Die Komische Oper Berlin feiert ihren 70. Geburtstag mit Offenbachs Operette „Herzog Blaubart“. Die Inszenierung von Walter Felsenstein war Kult an der Bühne, jetzt führt Stefan Herheim Regie.

Unwillkürlich fragt man sich angesichts der völlig leeren Bühne, die einem vor Beginn dieses „Blaubart“ an der Komischen Oper entgegengähnt, was daran technisch so aufwendig gewesen sein soll, dass die Premiere kurzfristig um eine Woche verschoben werden musste. Klar ist aber auch, dass es so nicht bleiben wird. Blitz, Donner – der Regisseur und Theaterzauberer Stefan Herheim beginnt sein Spiel. Und schickt erst mal zwei Figuren nach vorne, die mit Jacques Offenbachs Opéra bouffe „Barbe-bleu“ nichts zu tun haben – und doch wieder sehr viel: Amor und den Tod, den Verbinder und den Auflöser, um die sich im Leben wie auf der Bühne doch letztlich alles dreht. Gerade auch in diesem Stück, beglückt doch Blaubart bekanntlich jede seiner Ehefrauen mit einer kleinen Beförderung ins Jenseits, bevor er sich der nächsten zuwendet.

Dieser Liebesgott, hier Cupido genannt, ist entgegen seinem Klischee besetzt. Schauspieler Rüdiger Frank ist nur 1,34 Meter groß, seine Wirbelsäule gekrümmt, eine Knochenschwund-Krankheit. Er muss einen riesigen Theaterkarren ziehen, eine mobile Bühne aus Holz. Das Trumm war der Grund für die Premierenverschiebung. Wolfgang Häntsch als Gevatter Tod lenkt, peitscht, macht Stress, beide zanken sich über die Menschen und wollen sie doch auf der Bühne sehen, Cupido gibt den Theaterdirektor aus „Faust“: „Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen/ Und jedermann erwartet sich ein Fest.“

Alles Weitere ist als Stück im Stück zu verstehen. „Blaubart“ in Anführungszeichen und damit in einen Rahmen zu setzen, darin besteht die entscheidende Neuerung Herheims und seines Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach. Über allem schwebt Walter Felsensteins legendäre Inszenierung, die von 1963 bis 1992 in 369 Aufführungen an der Komischen Oper lief und erst kürzlich vom Theater Cottbus originalgetreu nachinszeniert worden ist. Es war die zweiterfolgreichste Produktion des Hauses überhaupt nach „Der Fiedler auf dem Dach“ – und damit neben der Wiederbelebung des Musicalsklassikers „Anatevka“ genau richtig zum Jubiläum „70 Jahre Komische Oper“.

Bei Herheim ist der Theaterkarren wieder eine opulente Wunderkammer

Herheim und Meier-Dörzenbach setzen sich auf eine Weise mit der Vorgängerinszenierung auseinander, wie man es noch nicht gesehen hat, liefern quasi ein Update, ein Felsenstein 2.0. Die Zitate liegen ausgestreut wie Rollsplitt. Blaubarts Fantasieuniform besitzt, wenn auch ein bisschen gestutzter, die gleichen gockelhaften Kringel und Ausbuchtungen an Schulter und Hüfte. Am spektakulärsten und schönsten wirft sich Peter Renz in die Rolle des Königs Bobèche. Zornig bis rumpelstilzchenhaft, O-Beine, das Zepter stets als Waffe in der Hand, bereit zum Schlag – es ist alles wie bei Felsenstein.

Ein Zwitter aus Alt und Neu, der aber auch ein Problem ist. Warum nicht gleich etwas Eigenes, eine aus dem Heute heraus entwickelte Sichtweise? Welche Erkenntnisse soll l solch ein Aufguss vermitteln, wenn man das Original nicht kennt und auch den Film nicht gesehen hat? Wobei dieser „Blaubart“ mehr ist als nur ein Aufguss. Man spürt, was Herheim wollte – der am gleichen Haus mit großem Erfolg Händels „Xerxes“ inszenierte und jetzt seine erste Operette macht: der Theaterkarren als Wunderkammer, aus dem stets neue Märchenbilder quellen, Blaubarts Welt an die Ästhetik der Renaissance angelehnt, Bobèches Welt neureich, protzig, geschmacklos. Mit visueller Opulenz und ineinander verschachtelten Ebenen zu überwältigen, das beherrscht Herheim wie kein zweiter. Aber diesmal funktioniert es nur bedingt.

Der Abend hat vor allem ein Tempoproblem. Die Rahmenhandlung von Cupido und Tod plustert die Länge nicht nur auf dreieinhalb Stunden auf, sie bremst das Geschehen auch aus. Es dauert, bis die Handlung in Gang kommt, und dann wird sie immer wieder gestoppt. Offenbachs genialer Witz lebt von Schnelligkeit, von der überdrehten Groteske, dem Augenblick – was der vorzügliche, von Jean-Christophe Charron einstudierte Chor weiß.

Opulenz ist ein Markenzeichen von Regisseur Stefan Herheim: Szene aus "Herzog Blaubart" in der Neuinszenierung für die Komische Oper.
Opulenz ist ein Markenzeichen von Regisseur Stefan Herheim: Szene aus "Herzog Blaubart" in der Neuinszenierung für die Komische Oper.

© Komische Oper/Iko Fresse/drama-berlin

Temposchwierigkeiten gibt es auch in einem anderen Sinne. Manche Sänger kommen schlicht nicht mit. Stefan Soltesz, der das Dirigat von Clemens Flick übernommen hat – im Vorfeld dieser Produktion lief es offenbar auch musikalisch holprig –, liefert mit dem Orchester der Komischen Oper einen zauberhaften, schlanken, hellwachen Offenbach-Sound. Seine Schlagvorgaben aber werden oben auf der Bühne von einigen als pure Angebote interpretiert, die man annehmen kann oder auch nicht. Tom Erik Lie gibt zwar einen wunderbar zottelig-verhuschten, mit böhmisch gedehnten Vokalen daherbrabbelnden Alchimisten Popolani, der für Blaubart die Frauen ermordet – auf exzentrische Rollen ist er abonniert, sein Beckmesser am gleichen Haus ist grandios. Beim Singen aber haut es ihn aus der Kurve, seine Phrasierung hat mit dem, was Soltesz dirigiert, nichts zu tun.

Leider versenkt auch Gastsänger Wolfgang Ablinger-Sperrhacke in der Titelrolle ausgerechnet die prominente Auftrittsarie (neue Textfassung: „Ich bin Barte-blau, das reimt sich auf Frau“). Die muss eigentlich knallen, aber Ablinger- Sperrhacke singt viel zu langsam, man versteht nichts, weil er hauptsächlich in seinen, nun ja, Blaubart hineinmümmelt. Rätselhaft, weil er es eigentlich kann, seine Tenorstimme bekommt schon kurz danach wieder Dringlichkeit, Zug und Glanz. Bleiben die Stützen des Ensembles, vor allem Philipp Meierhöfer als kernig intonierender Bürokraten-Minister Graf Oscar und Christiane Oertel als schillernde Königin Clémentine. Johannes Dunz singt einen juvenilen Schäfer Daphnis, der zum Prinzen wird und schließlich seine geliebte Hermia (Vera-Lotte Böcker) heiraten kann. Wenig vermag Sarah Ferede ihrer Rolle der Boulotte abzugewinnen. Statt resoluter Bauersfrau – bei der Uraufführung 1866 gesungen von Offenbachs Lieblings- Diva Hortense Schneider – ist Boulotte hier eher eine unbedarfte Schönheit, der man nicht recht abnimmt, dass ausgerechnet sie Blaubarts Untaten aufdeckt.

Blaubart begeht MeToo-Verbrechen - was Herheim merkwürdig ausgeblendet lässt

Untaten, die man im Licht von MeToo noch mal ganz neu hätte interpretieren können. Stefan Herheim interessiert sich für diese Debatte aber kaum, was er auch nicht muss. Seine Inszenierung aber befeuert unnötigerweise ein sexistisches Frauenbild, etwa wenn Boulotte Popolanis Gift genommen hat und von einem Vibrator wieder zum Leben erweckt wird. Erst von Männern umgebracht, dann großzügig vom Phallus reanimiert? Na danke.

Aktualität kommt auf andere Weise, aber kaum gelungener ins Stück. Wir brauchen ein Schloss? Noch mal Goethe: „Es war kein König in Mitte, und deshalb auch kein Schloss“. Also bauen es die Höflinge nach, als Palast der Republik in der Kubatur des Berliner Schlosses. Bobèche kann sich nicht entscheiden, ob er das McDonald’s-Logo, den Halbmond oder den Davidstern draufsetzen soll – bis er sich schließlich mit dem Seufzer „Es ist ein Kreuz“ für ebensolches entscheidet. Das wirkt alles recht bemüht in seinem Verweis auf Debatten, die teilweise schon wieder eine Weile her sind, und das Gefühl stellt sich ein, dass Offenbach solche kurzatmige Anbiederung ans Tagesgeschehen nicht braucht.

Einmal, am Ende des ersten Aktes, kommt es zu einem großen Theatermoment, wenn nicht zum Höhepunkt des Abends: Wolfgang Häntsch, der Tod, unterbricht das hochzeitständelnde Spiel abrupt mit seiner schaurig raunenden, infernalischen Stimme und brüllt gefühlte zwei Minuten lang: „Mir geht dieses Blech so auf den Sack! Was soll dieses Operettentralala? Lasst diese Wiederbelebungsversuche! Das soll lebendiges Theater sein?“ Ein Bruch, ein Riss in der Illusionsmaschine, atemlos fragt man sich, was daraus folgt. Ob aus dem Spalt, der sich hier auftut, etwas Neues erwächst. Und man ahnt doch zugleich, dass es dazu nicht kommt, dass das Potenzial des Augenblicks verschenkt werden wird.

Cupido und der Tod, sie kommen nicht voneinander los

Die Musik setzt wieder ein, als sei nichts gewesen, im weiteren Verlauf des Abends wird Herheim sich nicht mehr auf diesen Moment beziehen. Viel Jubel für die wackeren Sänger und Musiker, höflicher Applaus für das Regieteam. Dem allerdings ein schönes Schluss- und Sinnbild unserer Existenz gelingt: Als alles vorbei ist, wollen sich auch Cupido und Tod endgültig trennen, aber zuletzt verfolgen sie einander auf der Drehbühne. Sie rennen und rennen und kommen nicht voneinander los.

Wieder am 31. März, 22. und 27. April sowie 10., 13., 20. und 25. Mai

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