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Nicole Eisenman, „Destiny Riding Her Bike“, (2020), 323 x 267 cm.

© Nicole Eisenman, Foto: Thomas Widerberg

In der Schwebe: 30 Jahre Astrup Fearnley Museet

Oslos Museum für zeitgenössische Kunst wurde von Hans Rasmus Astrup gestiftet. Zum Jubiläum zeigt das Haus die imposante Sammlung des Reeders.

Das Schicksal kennt eigene Wege, um an sein Ziel zu kommen. Ein Kennenlernen, bei dem man übereinander stürzt, kleidet Nicole Eisenman in die freundliche Szene eines Parks und nennt sie „Destiny Riding Her Bike“ (2020). Die Radfahrerin kann also nichts dafür, dass sie den Mann unter der Leiter überfährt.

Oder wirft er sich auf den Pfad, um die junge Frau zum Halten zu zwingen. Dann hat es nicht funktioniert, denn ihre Schuhe wirbeln schon in der Luft – und gleich wird sie folgen. Eine Pirouette, wie sie typisch für Eisenman ist. Seit den neunziger Jahren zählt die Malerin, Jahrgang 1965, zu den zentralen Protagonisten der New Yorker Kunstszene. Für ihre Motive wird sie geliebt, denn die geben Rätsel auf. Obwohl sie figurativ und vordergründig schnell zu erfassen sind. Mit der Zeit aber erweisen sie sich als ziemlich vielschichtig.

Außenansicht des Astrup Fearnley Museet , das direkt an der Strandpromenade liegt.
Außenansicht des Astrup Fearnley Museet , das direkt an der Strandpromenade liegt.

© Astrup Fearnley Museet, Foto: Einar Aslaksen

Wie passend zum Titel der Ausstellung, in der Eisenman neben Ikonen von Sigmar Polke, Jeff Koons oder Martin Kippenberger hängt. „Before tomorrow“ klingt ähnlich paradox: das Anhalten der Zeit in einem fragilen Moment, der eigentlich gleich wieder vorbei ist. Auf das Astrup Fearnley Museet in Oslo trifft dieser Zustand allerdings zu. Norwegens wichtigstes, vom architekten Renzo Piano entworfenes Museum für zeitgenössische Kunst hat einen Verlust zu beklagen: Sein Gründer, der Schiffsmakler Hans Rasmus Astrup, verstarb im Frühjahr 2021 mit 82 Jahren. Die Planungen für die Schau zum Jubiläum der Institution liefen da schon und hatten ebenfalls eng mit Astrup zu tun: Im Zentrum steht seine private Sammlung, die größte überhaupt im Land.

Den 30. Geburtstag des Museums feiern sie ohne ihn, wenn auch mit Königin Sonja, die „Before Tomorrow“ ganz entspannt im vollen Haus eröffnete. Doch Astrup ist weiter gegenwärtig – was und wie er seit den 1960er-Jahren sammelte, artikuliert sich in jedem Raum. Etwa anhand der überlebensgroßen Porzellanskulptur „Michael Jackson and Bubbles“, die den goldglänzenden Sänger mit Affe zeigt. Ein Kitschungetüm von Jeff Koons, aber auch eine Pop-Apotheose aus den späten achtziger Jahre, von der es drei Exemplare gibt. Zwei stehen in Museen der USA, eine ist Teil der Astrup Fearnley Collection. Flankiert wird Koons von ähnlichen Ikonen, so Teilen von Matthew Barneys „Cremaster Cycle“, einem hochästhetischen Gesamtkunstwerk aus den späte Neunzigern.

Hier tummeln sich Stars

Es tummeln sich weitere norwegische wie internationale Stars. Der Performancekünstler Paul McCarthy, inzwischen Mitte siebzig, boxt sich im frühen Video „Rocky“ (1975) selbst K.o., Wolfgang Tillmans fängt den Flug einer Concorde fotografisch ein und Raymond Pettibon überrascht mit einer großen Zeichnung von 2004, die einen winzigen Surfer in blaue Wellen hüllt. Dass er in letzter Zeit viel auf dem Wasser war, steht unter dem Motiv. Ein Hinweis auf den exzessiven Alkoholkonsum des Künstlers in jener Zeit.

Wasser spielt eine unübersehbare Rolle in der Sammlung. Es tropft aus Robert Gobers Doppelhahn ins schrundige Waschbecken oder fließt durch den Film „Lock Again“ des chinesischen Künstlers Yang Fudong, der von Freiheit und einem Boot handelt, das statt auf großer See im Schwimmbad dümpelt. Die Überwindung von Normen proben Nan Goldin in ihrer legendären Fotoserie „Ballade von der sexuellen Abhängigkeit“ und Klara Lidén im Video „Paralyzed“ (2003), das die schwedische Künstlerin beim Tanz in einem Bahnabteil zeigt. Anarchisch, praktisch, gut.

Die Ausstellung stellt auch unbequeme Fragen

Tatsächlich gibt es mit Arbeiten von Cindy Sherman, Shirin Neshat oder den WAusandsilhouetten von Kara Walker, die brutal Rassismus verhandeln, auch Künstlerinnen bei Astrup. Doch die Genese seiner Interessen schreibt eine eher virile Kunstgeschichte, wie sie bis weit in die neunziger Jahre üblich war. „Before Tomorrow“ echter Rückblick, wenn auch mit grandiosen Exponaten und einem späten Willen, jene Perspektive ergänzend auszugleichen.

Genau hier steht nun Solveig Øvstebø als Direktorin des Museums. „Before tomorrow“ ist nicht bloß als feierliches Glanzlicht zum 30-jährigen Bestehen des Astrup Fearnley Museet gedacht, sondern stellt auch Fragen. Was wird künftig ohne den Sammler erworben, wie bewahrt man sein Erbe und verjüngt es zugleich? 1500 Werke sind viel, aber es braucht Ideen für eine Zukunft. Das Bild dafür liefert im oberen Stock die Ansammlung blau glitzernder Bonbons von Félix González-Torres vor dem Panoramafenster, das Renzo Piano in sein Haus geschnitten hat, Der Blick gleitet über das Süße hinaus ins Wasser und imaginiert Unendlichkeit. Ein Versprechen, zumindest für die Astrup Fearnley Collection.

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