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Szene in der deutschen Mission: Sakhiwe Mkosana als Hijangua und Natasha Ndjiharine deutsche Missionarstochter Maria bei der ersten Durchlaufprobe im Großen Sendesaal.

© Stefan Höderath

Erste Oper Namibias in Berlin: „In Deutschland wird der Kolonialismus unter den Teppich gekehrt“

Im RBB-Sendesaal feiert am Freitag die erste Oper Namibias Berliner Premiere. „Chief Hijangua“ verhandelt die deutsche Kolonialbesetzung im Süden Afrikas – mit schillernden klassischen Klängen.

Eine karge Wüstenlandschaft erstreckt sich über die Bretter des RBB-Sendesaals. Kupferstangen bilden eine künstliche Hecke, ein Chor schreitet in weiten Gewändern über graue Steinkulissen. Dazwischen: Ein junger Prinz, seine Geliebte – und ein grausames Trauma.

„Ich war überrascht, dass 90 Prozent der Menschen hier in Deutschland noch nie von der deutsch-namibischen Geschichte gehört haben“, sagt der namibische Komponist Eslon Hindundu dem Tagesspiegel am Rand der ersten Durchlaufprobe am Montag. Um die blutige deutsche Kolonialbesetzung im sogenannten „Deutsch-Südwestafrika“ geht es in „Chief Hijangua“, die nicht nur Hindundus erste Oper ist, sondern auch die erste Oper Namibias. Vor einem Jahr feierte sie ihre ausverkaufte Uraufführung in Windhoek, vom 15. bis 17. September 2023 ist sie erstmals in Europa zu hören: in Berlin.

Regisseurin Kim Mira Meyer und Komponist Eslon Hindundu bei der ersten Durchlaufprobe.
Regisseurin Kim Mira Meyer und Komponist Eslon Hindundu bei der ersten Durchlaufprobe.

© Stefan Höderath

Mit einem Team aus Namibia, Südafrika und Deutschland bringt Hindundu ein gigantisches Projekt auf die Bühne. Er und die deutsche Regisseurin Kim Mira Meyer sind langjährige Freunde, als ihnen die Idee zu dem interkulturellen, postkolonialen Opernprojekt kommt. Was folgt, ist ein logistischer Herkules-Akt: Besuche in Windhoek, Besuche in München, unzählige Zoom-Calls und noch mehr WhatsApp-Nachrichten – alles während einer globalen Pandemie. Im Gegensatz zu traditionellen Klassikprojekten hat sich das Team um möglichst wenig hierarchische Strukturen bemüht. Anders sei ein solches Projekt gar nicht umzusetzen, sagt Regisseurin Kim Mira Meyer: „Es steht immer ein Trauma im Raum. Und wenn ich als deutsche Regisseurin meinen namibischen Kollegen auf der Bühne hierarchisch gegenübertrete, dann funktioniert das nicht.“

Mit „Chief Hijangua” ist ein erschütterndes Werk entstanden, das zwischen brutaler Kolonialismusgeschichte und klassischer Opernhandlung mäandert. Das Libretto des deutschen Historikers Nikolaus Frei basiert auf namibischen und deutschen Überlieferungen und zeigt den Beginn der deutschen Kolonialisierung – und die Vorzeichen des Völkermords an den Herero und Nama. Die Oper, teils auf Deutsch, teils auf Otjiherero, zieht Inspiration aus dem Leben des Widerstandskämpfers Samuel Maharero: Das Libretto folgt dem fiktiven Prinzen Hijangua, dessen Geliebte mit seinem Bruder verheiratet werden soll. Aus Trauer flieht Hijangua in die Wüste. Als er sich verläuft, wird er von einer deutschen Missionarstochter gefunden, die ihn mit zur Mission nimmt. Dort manipuliert ihn ein Major, in sein Dorf zurückzukehren und gewaltvoll die Macht an sich zu reißen. Das deutsche Korps folgt Hijangua heimlich in seine Heimat – die Oper mündet in den grausamen deutschen Überfall auf das Dorf und den Beginn der Kolonialbesetzung.

Reinhardt Moagi Tenor als deutscher Major in „Chief Hijangua“.
Reinhardt Moagi Tenor als deutscher Major in „Chief Hijangua“.

© Stefan Höderath

Für Eslon Hindundu, selbst Herero, war die Oper Teil einer Selbstfindung. „Meine Generation, die frei geboren wurde, weiß nur wenig über unsere Kultur, wie wir gelebt haben.“ Durch die deutsche Kolonialisierung und den Völkermord sind weite Teile der Herero- und Nama-Kulturen ausgelöscht worden. „Wir verlieren unsere Melodien, unsere Rhythmen. Diese Oper zu schreiben, bedeutete für mich, zu diesen Wurzeln zurückzukehren und sie zu bewahren.“

Dass es in Deutschland so wenig Bewusstsein für die Kolonialisierung gibt, schockiert Hindundu – er hofft, das Publikum ein Stück über die Geschichte und deutsch-namibische Verbindung aufklären zu können. Die Regisseurin Kim Mira Meyer hat das Stück für die deutsche Premiere auch deshalb brutaler inszeniert als in Namibia. „Hier in Deutschland wird das Thema unter den Teppich gekehrt. Deshalb muss man hier etwas mutiger sein in der Art, wie man künstlerisch auftritt. Wir möchten einen Weg finden zu zeigen, wie brutal Menschen sein können. Damit das Publikum auf der Stuhlkante sitzt, mitfühlt und versteht, dass es eine Kultur in Namibia gab, bevor der Kolonialismus kam.“

Hindundu bettet die blutige Handlung ein in Melodien, die fast zu schön für ihre Materie klingen: Spätromantische Arien und schillernde, puccinieske Chöre verbindet der Komponist mit Clusterakkorden und namibischen Weisen und Rhythmen, die das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin spielen wird. Dazu haben Twapewa Amutenya und Naomi Nambinga afrofuturistische Kostüme samt abstrakter Headpieces geschaffen, die bereits auf der namibischen Fashion Week zu sehen waren – Gretl Kautzsch hat der Produktion filigrane Tierpuppen aus Draht gebogen, die durch einen Puppenspieler über die Bühne bewegt werden.

Im Ensemble, „colourblind“ besetzt, übernehmen die namibischen, deutschen und südafrikanischen Kunstschaffenden jeweils sowohl deutsche als auch namibische Rollen. Sakhiwe Mkosana und Janice van Rooy als Hijangua und seine Geliebte fallen schon in der Probe durch ihre bemerkenswerte Harmonie und stimmliche Stärke auf. Zur Premiere am Freitag werden sie vor hohem Besuch singen: Joseph Uapingene, Bürgermeister von Windhoek, sowie der namibische Botschafter Martin Andjaba sitzen im Saal, auch der Berliner Bürgermeister Kai Wegner, Kultursenator Joe Chialo und Staatsministerin Claudia Roth haben sich angekündigt. Drei Abende lang werden Hindundus schillernde Melodien durch den Sendesaal klingen. Zu weiteren Terminen der ersten namibischen Oper hält sich das Team noch bedeckt – doch klar ist: Die Berliner Produktion wird nicht die letzte bleiben.

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