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Symmetrien und Klänge. Schloss und Garten von Versailles vor den Tor von Paris.

© AFP/Patrick Kovarik

Home-Office: Zeit zu sehen: In Musik schwelgen wie einst Ludwig XIV.

Vor 350 Jahren ließ sich der Sonnenkönig in Versailles mit Tanz und Musik feiern. Das Konzert des Ensemble Correspondances auf DVD erinnert daran.

Zu den ungezählten Sehnsuchtsorten, die momentan nicht mehr erreichbar sind, zählt auch Versailles. Wie, da vermisst jemand ein Schloss? Ja – das hat mit der Aura des Ortes zu tun, dem leichten Schaudern bei dem Gedanken, was hier mal war, mit der Symmetrie der bei allem absolutistischen Machtanspruch immer noch irgendwie humanen Architektur, mit der Nähe zu Paris – und natürlich mit dem wunderbaren, in endlosen Linien in den Himmel zielenden Garten. Schon klar, gemeint ist das Versailles der Gegenwart, das demokratisch geöffnete, für alle zugängliche Versailles, nicht das des 18. Jahrhunderts. Das muss ein recht höllischer Ort gewesen sein, wo der (natürlich trotzdem obszön privilegierte) Adel Frankreichs, eingepfercht in enge Kammern, schlecht belüftet, ohne Toiletten, aufeinander hockte, vor dem König katzbuckelte und Intrigen spann.

Der das alles geschaffen oder zumindest in Auftrag gegeben hat, Ludwig XIV., wurde 1654 in der Kathedrale von Reims zum König gekrönt. Ein einschneidendes Ereignis nicht nur für den damals 16-Jährigen, sondern auch für Frankreich, war doch damit der Aufstand der Fronde beendet und der Aufstieg zum mächtigsten Staat in Europa eingeläutet.

Musik, die zur Krönung des Königs erklang

Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, welche Stimmung in Reims geherrscht haben muss, kann jetzt zur DVD „Le Sacre Royal de Louis XIV.“ greifen (Label: Château de Versailles Spectacles, in Deutschland vertrieben über NOTE1). Sie dokumentiert ein Konzert des Ensemble Correspondances vom Juni 2019 in der Schlosskapelle von Versailles, auf dem Programm: Musik, die sehr wahrscheinlich – so ganz lässt sich das nicht rekonstruieren – bei Ludwigs Krönung (frz. Sacre) in Reims erklungen war.

Die Türen öffnen sich, und langsam schreiten die Musikerinnen und Musiker mit Dirigent Sébastian Daucé in der Mitte nach vorne, zu den Klängen einer Pavane, die zur Heirat von Ludwig XIII., des Vaters des Sonnenkönigs, gespielt worden sein soll. Pavanen sind Schreit- Tänze, die im Barock enorm populär waren und in ihrem feierlichen, gemächlichen Gestus eine ungemeine Erhabenheit ausstrahlen, ohne je mit plumpem Effekt überwältigen zu wollen. Man hört sie – und fühlt sich sofort in eine andere Epoche gebeamt, 350 Jahre zurück. Daneben prägen Basso continuo-begleitete Gesängen häufig anonymer Komponisten die DVD, oder Airs von Étienne Moulinié, geboren 1599 in der Stadt Carcassonne – die zumindest brettspielbegeisterten Berliner 20-Somethings etwas sagen müsste.

Die Schlosskapelle (Chapelle royal), die äußerlich die Symmetrie der Fassade durchbricht, ist das letzte noch von Ludwig XIV. fertiggestellten Bauwerk in Versailles, 1710 vollendet, fünf Jahre später starb der Monarch – nach für heutige Maßstäbe unbegreiflichen 61 Jahren Herrschaft, gegen die sich die 16 Jahre von Helmut Kohl anfühlen wie eine Reklamepause. Und noch etwas fällt auf: Wer die DVD jetzt sieht, im April 2020, weiß kaum, worüber er mehr bestürzt sein soll: Wie selbstverständlich Schulter an Schulter Publikum und Orchester im Jahr 2019 noch saßen – oder wie rasend schnell es ging, dass wir über eine solche Nähe entsetzt sind.

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