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So wie diese Vietnamesen kam die Chinesin Mini aus Vietnam nach Deutschland. Das Foto zeigt Vietnam-Flüchtlinge nach ihrer Ankunft im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen im Dezember 1978. Der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) hatten die Fernsehbilder der Flüchtlinge auf dem völlig überfüllten Frachter "Hai Hong" so berührt, dass er spontan Hilfe anbot. Am 3. Dezember 1978 landete das erste Transportflugzeug der Bundeswehr mit 163 Menschen, darunter 71 Kinder. Insgesamt fanden 1000 "Boat People" in Niedersachsen eine neue Heimat.

© picture-alliance/ dpa

Jugendroman: Kartoffeln statt Reis

Bei Que Du Luu entdeckt Teenager Mini in dem Roman "Im Jahr des Affen", dass sie als Kind aus Vietnam geflohen ist.

Minis Vater betreibt ein China-Restaurant in Herford, einer lauschigen Kleinstadt in Ostwestfalen. Sie fühlt sich wohl dort, hilft ihm nach der Schule in der Küche. Dass sie anders ist als andere Kinder, kommt ihr und auch dem Leser zunächst nicht in den Sinn. „Im Kindergarten hatten die anderen meinen Namen nicht aussprechen können. Sie sagten immer ,Mini‘ und so war es dann geblieben“, sagt die Ich-Erzählerin, die eigentlich Minh Thi heißt; ein erster Hinweis auf ihre fremde Herkunft. Ihr Vater spricht gebrochen Deutsch und begrüßt sie stets mit den Worten „Hast du schon gekochten Reis gegessen?“, was eigentlich nur eine chinesische Begrüßungsfloskel ist. Und wenn Mini antwortet „Nein, ich habe noch keinen Reis gegessen ... aber Kartoffeln“, versteht der Vater die Ironie nicht.

Que Du Luu beginnt ihren Roman „Im Jahr des Affen“ (1992) ganz leicht und poetisch, eine Geschichte über einen Teenager in einer deutschen Kleinstadt, der genauso sein will wie alle anderen Jugendlichen und von Bela schwärmt, dem tollen Typen, der von seinem Glück allerdings noch nichts weiß.

Doch als der Vater ankündigt, dass sein Bruder, ihr Onkel Wu, aus Australien zu Besuch kommt, verändert sich das beschauliche Leben – und Mini wird zum ersten Mal bewusst, dass ihr Vater außer ihr niemanden in Herford kennt. Und dann liegt er eines Tages reglos auf dem Bürgersteig, als sie nach Hause kommt. Mini muss ihn ins Krankenhaus bringen, mit den Ärzten sprechen, die sie behandeln, als könne sie nicht bis drei zählen, und auch noch das Restaurant managen. Zum Glück sind Ferien.

Ein Mädchen auf der Suche nach seiner Identität.
Ein Mädchen auf der Suche nach seiner Identität.

© Königskinder Verlag

Mini ist Deutsche, ihr Vater Chinese, die Mutter gestorben. Geboren wurde sie in Vietnam und kam als kleines Kind hierher. Aber das ist Mini zunächst nicht klar; für sie ist Herford ihre Heimat. Erst der Besuch des anspruchsvollen Onkel Wu wirbelt die gewohnte Ordnung durcheinander. Familie ist wichtig; der Onkel ist der große Bruder des Vaters und hat an allem etwas auszusetzen. Er vermisst in Herford eine chinesische Community und wundert sich über Mini, die ihm so gar nicht chinesisch vorkommt.

Im Restaurant arbeiten auch noch Ling und Bao, der Koch, die ihrem Vater auf der Nase herumtanzen, die aber auch ein Geheimnis umgibt. Es stellt sich heraus, dass Ling keine Arbeitserlaubnis hat. Warum das so ist, erfährt Mini nach und nach von ihrem Onkel und von Bao. Und noch eines kommt dabei ans Licht: Mini ist 1976 über Thailand aus Vietnam geflohen – als eine der Boat People, der Bootsflüchtlinge, die in der Folge des Vietnamkrieges ihre Heimat verlassen haben.

Mini entdeckt plötzlich ihre chinesische Herkunft

Erst allmählich wird sie sich ihrer Herkunft bewusst; ein schmerzlicher Prozess, denn Onkel Wu ist ihr zunächst einfach nur peinlich. Er kann sich nicht benehmen, schmatzt beim Essen und macht ihr Vorwürfe, dass sie keine Ahnung von chinesischer Kultur habe. Sie wiederum schämt sich wegen des schäbigen Hochhauses, in dem sie wohnen muss. Die Konfrontation mit ihrem Onkel, die Krankheit des Vaters, das Überleben des Restaurants: All das verlangt Mini viel ab, doch sie gewinnt auch mehr und mehr Verständnis für die Kultur der Chinesen und akzeptiert schließlich die Reformpläne des Onkels für das Lokal.

Que Du Luu ist ein sehr leiser, einfühlsamer Roman über eine Jugendliche gelungen, die als Kleinkind fliehen musste und nur ihr Leben als Deutsche kennt. Allmählich entdeckt sie ihre Vergangenheit und vermittelt zwischen beiden Kulturen. Mini ist angekommen in diesem Land. Die Autorin beschreibt in ihrem autobiografischen Roman behutsam, sensibel und mit leisem Humor die Suche nach der eigenen Identität.

Que Du Luu: Im Jahr des Affen. Königskinder-Verlag, Hamburg 2016. 288 Seiten. 16,99 Euro. Ab 14 Jahren.

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