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Mit Wahlhelm. Rainald Grebe erzählt aus der Kampfzone Berlin.

© Thomas Aurin

Parktaschen, Quarktaschen: Kellerloch der Lokalpolitik: Rainald Grebes Polit-Kasperei im Gorki Theater

"Völker, schaut auf diese Stadt." – Der Kabarettist als unentschiedener Wähler, Relativierer und Zauderer jenseits von "Brandenburg" und Massenkompatibilität.

Gemein. Da will man mal wieder den Grebe lieben und dann lässt er einen nicht. Grebe lieben, das ist seit seinem umjubelten Waldbühnen-Konzert im Juni in ironieverliebten Kreisen endgültig Volkssport geworden. Schon „Zurück zur Natur“, der letztjährige Konzertabend des Heimatdichters, hatte hier im Maxim Gorki Theater denselben niedrigschwelligen Identifikationseffekt. Immer volle Bude, keine Feinde, nur noch Freunde – da muss einem Kabarettisten angst und bange werden.

Mittwochabend hat Grebe bei der Premiere seiner Wahlkampfrevue „Völker, schaut auf diese Stadt“ darauf mal schön mit Entzug reagiert: wenig Musik, wenig Rampensau, wenig „Brandenburg“. Stattdessen: Berlin, Lokalpolitik, Parteiprogramme, Konfusion, Kellerloch und im Parkett Mauerfall-Bürgermeister Walter Momper, der ohnmächtig zusehen muss, wie der ruchlose Rainald seinen Spott mit der Schokoladensucht des jetzigen Abgeordnetenhauspräsidenten treibt.

„Berlin wählt und Rainald Grebe kann sich nicht entscheiden“ lautet der Untertitel des Stücks – und nichts anderes ist auf der Bühne zu sehen. Unwahrscheinlich allerdings, dass die Stimmabgabe dem Regisseur und Darsteller samt seinen drei Schauspielkollegen Sabine Waibel, Wilhelm Eilers und Hans Krüger bis zum 18. September leichter fällt. Zu wenig einleuchtend ist der vollgerümpelte Bühnenkeller, die Horchstation der vier Wahlkampfbeobachter in die auswärtige Welt. Zu bruchstückhaft sind die Zitateschnipsel aus dem Politbetrieb, die die Textgrundlage bilden. Zu beliebig gesetzt sind die während der zweieinhalbstündigen Aufführung erklingenden Altberliner Couplets. Zu schleppend kommt der ganze Abend in Gang.

„Alles, was hier zu hören ist, ist authentisches Material!“, spricht Wilhelm Eilers im Stil von Fox’ tönender Wochenschau in den Saal. Angeblich 865 Interviews mit Politikern, Wählern oder Werbefuzzis, die die Wahlkampagnen für Wowereit, Künast und die anderen Spitzenkandidaten stricken, hat die Truppe im Vorfeld geführt. Und dazu Wahlvideos, Biografien und Nominierungsreden geflöht. Denn: „Die größte Schuld, die der moderne Mensch auf sich laden kann, ist die Uninformiertheit“, wie das Textbuch sagt. Nur heißt informiert sein noch lange nicht wissen. Und entlarvende Politikerphrasen oder furchteinflößende Zahlen über die Kosten politischer Fehlentscheidungen bieten auch theatralisch aufbereitet keinen neuen Erkenntnisgewinn. Das ist dann eher Volkshochschule mit Empörungsappeal.

Am besten ist die mit Projektionen und Puppen aufgepeppte Produktion des an der Ernst-Busch-Schule ausgebildeten Diplom-Puppenspielers Rainald Grebe dann, wenn sie freidreht, wenn sie von Satire zu Klamauk wechselt. Wie in der Szene, wo eine überschmale Genscher-Puppe mit den drei Ausrufen „Die neue FDP“, „Erst brennen die Autos – und dann?“ sowie „Schönes Wochenende!“ das ganze Elend eines Wahlkämpfers darstellt, der samstags gegen die geballte Ignoranz der Fußgängerzone antritt. Unglaublich, wie viele Facetten der Puppenspieler und Schauspieler Hans Krüger diesen drei Sätzen abringt. Nicht Grebe, sondern Krüger ist der Zampano des Abends. Ein Puppenspieler, Sänger und Kasper, der geradewegs aus dem Panoptikum des seligen Christoph Schlingensief entsprungen zu sein scheint.

„Parktaschen, Quarktaschen – was habt ihr überhaupt für Sorgen?“, brüllt er, nachdem Grebe den umstrittenen Plan des Pankower Baustadtrats zum Umbau der Kastanienallee mittels antikem Overheadprojektor erläutert hat. Früher, 1989, da habe es hier immerhin eine Revolte gegeben. Da ging’s um was, da brannte die Welt! Ein Gefühl, dass der unentschiedene Wähler Grebe, der Relativierer und Zauderer, der Stellvertreter der Masse des Stimmviehs nicht kennt. Seine Erwiderung ist so gleißend wahr wie scheußlich banal. „Die Revolution ist stimmungsabhängig“, seufzt er am Ende, matt auf dem Sofa hockend. Genauso wie die Wahlbeteiligung am 18. September.

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