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© AFP

Regisseur Paolo Sorrentino: "Berlusconi ist der politische Enkel Andreottis"

Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino spricht mit dem Tagesspiegel über seinen maskenhaften Helden, die Mafia und Politik als Spektakel.

Giulio Andreotti ist nicht gerade ein charismatischer Charakter. Warum haben Sie sich entschlossen, einen Film über diesen verschlossenen Mann zu drehen?



Gerade deshalb. Weil er ein Mensch voller Geheimnisse und Widersprüche ist. Er ist ein sehr starkes Symbol der politischen Macht in Italien gewesen, vierzig Jahre lang hat er Schlüsselpositionen in der italienischen Politik besetzt. Durch ihn kann man fundamentale Momente der italienischen Nachkriegspolitik erzählen. Aber auch filmisch ist er ein ausgesprochen dankbarer Charakter, sowohl physisch als auch psychisch.

Gegen Ende des Films kommt fast so etwas wie Mitleid für Andreotti auf. Hat sich Ihr Blick auf ihn durch die Arbeit verändert?


Das Faszinierende an Andreotti ist ja, dass er zwar ein Mensch ist, vor dem man sich fürchtet, aber er war eben auch anziehend, humorvoll, unterhaltsam. Er hat es perfekt verstanden, die Rolle des väterlichen Onkels zu spielen. Das waren alles Masken. Gleichzeitig hat er ein Privatarchiv angelegt, in dem er Unterlagen über uns alle sammelt. Seine Methode war immer „Zuckerbrot und Peitsche“. Er hat fast Shakespeare''sches Format.

Ihr Film konzentriert sich auf die späten Achtziger und frühen Neunziger – da waren Sie fast noch ein Kind.


Ich wollte einen Film über Andreotti machen, seit ich 18 bin. Es gibt unendlich viel Material, ich habe auch viele Menschen getroffen, die ihn kannten. Sie waren zwar alle dagegen, dass ich diesen Film drehe, aber dann haben sie mir sogar Dinge erzählt, die ich nicht in den Film einbauen konnte, weil es keine Beweise dafür gab.

Wie reagierte Andreotti auf das Ergebnis?

Sehr wütend. Er fand den Film aggressiv – zu Recht! Aber er hat nichts unternommen, um ihn zu verhindern.

Wenn man die Andreotti-Zeit mit dem heutigen Italien unter Berlusconi vergleicht: Was hat sich verändert?


Andreotti war einer der ersten Politiker, die begriffen haben, dass Politik ein Spektakel ist. Er hat sich äußerste Mühe gegeben, populär zu sein, er hat sich der Unterstützung der Filmindustrie versichert. So gesehen, ist Berlusconi eine Art Enkel von Andreotti. Nur dass er sich heute des Fernsehens bedient.

Den Vorwurf der Mafia-Nähe Andreottis verlagern Sie in eine Traumsequenz – sehr geschickt, zumal er in allen Prozessen freigesprochen wurde. Welchen politischen Einfluss hat die Mafia heute?


Keine Ahnung. Die Mafia und das Verhältnis der Politik zu ihr haben sich sehr verändert. Es gab eine Zeit, als die Politiker meinten, sie müssten mit der Mafia zusammenleben, man müsse sie tolerieren. Das ist die wahre Schuld dieser Politiker, zu denen auch Andreotti gehört. Das hat auch viel mit der Haltung der Kirche zu tun, die sich auch immer für eine Kultur der Vereinnahmung ausgesprochen hat. Aber dann wurde die Mafia immer gefährlicher und griff sogar den Staat an – und die Politik entschloss sich, gegen sie vorzugehen. Auch Andreotti behauptet immer, er habe ab einem gewissen Punkt damit begonnen, die Mafia zu bekämpfen. Heute gibt es andere Organisationen wie die kalabrische ’Ndrangheta, die viel einflussreicher und gefährlicher sind als die Mafia – und über die man sehr, sehr wenig weiß.

Warum endet Ihr Film mit einem Song der deutschen Band Trio: „Da, da, da, du liebst mich nicht, ich lieb dich nicht“?


Das soll klarmachen, dass wir einem Spektakel beigewohnt haben, einem Marionettenspiel. Einem etwas traurigen Spektakel, allerdings. Ein großer Schriftsteller hat einmal gesagt: „Die Situation ist hoffnungslos, aber nicht ernst.“ So sollte auch mein Film sein: einer über schwerwiegende Dinge, aber nicht ernst.


Das Gespräch führte Christina Tilmann.


ZUR PERSON

PAOLO SORRENTINO, geboren 1970 in Neapel, ist seit seinem Debüt „L’uomo in piú“ Stammgast bei den großen Festivals. „Il divo“, sein vierter Film, erhielt 2008 in Cannes den Jurypreis.

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