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Sein Blick im Rausch - starrer geht's nicht.

© Bavaria/dapd

Tschernobyl-Film: Die Atemlosen und die Ahnungslosen

"An einem Samstag": Wie wirkt der Tschernobyl-Film der Berlinale jetzt, nach Fukushima? Tschernobyl, das wissen wir jetzt, ist heute, ist immer, jedenfalls so lange irgendwo auf der Welt noch Kernkraftwerke stehen.

Auf der jüngsten Berlinale war Alexander Mindadzes Wettbewerbsbeitrag „V Subbotu“ (An einem Samstag), gelinde gesagt, verhalten aufgenommen worden. Einen „kleinen Film mit großer Idee“ nannte die „FAZ“ den Versuch des spät zum Regieführen berufenen 62-jährigen Drehbuchautors, den Tag eins nach Tschernobyl als wilden Totentanz der Bewohner der nahen Kraftwerksarbeiterstadt Pripjat zu inszenieren. Die „Süddeutsche“ befand, der Film mache sich dabei „schrecklich wichtig“, die „Welt“ meinte, die Handlung verliere sich schnell in Nebensträngen, und der Tagesspiegel, zunächst angetan von einer gewissen „Ästhetik der Distanzlosigkeit“, diagnostizierte alsbald den „horror vacui verzappelter Bilder“.

Nun kommt der Film passgenau zum 25. Jahrestag des Super-GAUs ins Kino – und Fukushima, das den unterm Betonsarkophag der kollektiven Erinnerung verschütteten Schrecken grausam freilegte, hat auch Mindadzes TschernobylMemorial mit beklemmender Aktualität aufgeladen. Tschernobyl, das wissen wir jetzt, ist heute, ist immer, jedenfalls so lange irgendwo auf der Welt noch Kernkraftwerke stehen. Die Stadt Pripjat, die angesichts der ungeheuren Freisetzung von Radioaktivität nach 36 Stunden evakuiert wurde, wurde nur jene historisch erste unbewohnbare „Zone“, wie sie Andrej Tarkowski so prophetisch wie metaphorisch in seinem „Stalker“ (1979) vorwegnahm. Heute künden menschenleer gemachte japanische Städte von der menschengemachten Zerstörung des Planeten, morgen können die Namen dieser Städte Heilbronn oder Hameln, Günzburg oder Karlsruhe sein.

„An einem Samstag“ stellt einen Atemlosen, den jungen Parteisekretär Valeri (Anton Shagin), den ahnungslosen Städtern gegenüber, die bei schönstem Frühlingswetter ihren Wochenendvergnügungen entgegenstreben. Als Zeuge der nächtlichen Reaktorexplosion wird er von den örtlichen Bonzen sofort in das Vertuschungskartell einbezogen. Nur seine Freundin Vera (Svetlana Smirnowa) und ein paar Rockbandmusiker weiht der frühere Schlagzeuger in den Horror seines Wissens ein. Vera versucht er zu retten, aber die Flucht des Paars zum Bahnhof scheitert, weil sie einen Schuh verliert. Also stürzt er sich in den Bewusstseinsverlust: Im Kulturhaus wird eine Hochzeit gefeiert, die Band spielt, Vera singt, und spätestens im Mittagslicht jenes 26. April, so scheint es, hat sich ganz Pripjat dem Vollsuff ergeben.

Was beim Wiedersehen des Films anders, weil unmittelbar anrührt: die anfängliche Angst in den Augen Valeris, sein jagendes Rennen durch Behördentrakt, Mädchenwohnheim und Stadtpark, wofür Oleg Mutu („4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“) seine Handkamera den Hauptakteuren nahezu in den Nacken drängt. Auch bewegend: die unbekümmert leuchtende Jugend Veras, die nur vom Lebensstrahlen, nicht von Verstrahltheit wissen will. Und das Gefühl, zu einer Gemeinschaft von Todgeweihten zu gehören, die brutalstmöglich verdrängen muss, wenn sie denn irgendwie glücklich bleiben will.

Doch diese Wahrheiten auch unserer Tage schimmern ernstlich nur im ersten Drittel von „An einem Samstag“ auf. In der folgenden Filmstunde, die das Geschehen bis zum Morgen nach der zweiten durchwachten Nacht Valeris im Mikrokosmos des Hochzeitsfestes komprimiert, herrscht der rasende Stillstand des Rauschs. Irgendeines Rauschs mit Wodka und billigem Wein, wie man ihn als offenbar unvermeidliche Beigabe aus dem panslawischen Filmwesen kennt. Erst am Schluss gerät das jod- und cäsiumkotzende Kraftwerksungeheuer erneut in den Blick – urplötzlich, als wollte der vom eigenen Bilderrausch berauschte Regisseur sich noch einmal seines Themas vergewissern.

Doch wie betäubend öde ist dieses Getöse gegenüber der dröhnenden Stille, mit der die Japaner derzeit den Untergang ihres Selbstbegriffs intonieren! Deren Wirklichkeit, die jeden Film überholt und deren Bilder nun der Welt im Nacken sitzen, erzählt von einem langsamen Begreifen aus einer Trauer heraus. Und letztlich davon, dass allein das menschliche Bewusstsein zum Glück verhilft, so fern das Glück heute auch scheinen mag.

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