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Kanal voll. Venedigs Gondeln.

© picture alliance / dpa

Kolumne Alle Wetter (9): Die Winde von Venedig

Urlaubszeit ist Draußenzeit. Und wie war das Wetter?, wollen die anderen wissen. Wir erzählen in loser Folge Geschichten davon, von Sonnenbrand bis Dauerregen.

Einst galt es als Erkenntnisprivileg, zu wissen, woher der Wind weht. Das ist schon etwas länger her. Meist kommt er von Westen, meteorologisch, kulturell, zivilisationsgeschichtlich und ökonomisch gleichermaßen, weiß jeder.

Im vorigen Jahr verbrachte ich den Sommer in der Wohnung eines italienischen Mathematikprofessors in Venedig. An einer Wand hing, so groß wie diese, ein Kupferstich der Stadt von 1530. Mag sein, den Professor hat die sagenhafte Präzision des Stichs fasziniert und dass man in dieser unwahrscheinlichsten aller Städte noch immer fast alles an der Stelle wiederfindet, an der es damals inventarisiert wurde. Und doch war Venedig nicht die Hauptsache auf diesem Stich. Die Hauptsache waren die Winde. Sie kamen aus allen Bildecken und von allen Seiten: Und obgleich wie vor dem Angesicht der Ewigkeit erbaut, war diese Stadt verwehbar, nichts als ein Blatt im Wind.

Dickbackige Engelsgesichter bliesen aus Leibeskräften. Von oben rechts, aus Nordosten blies die Bora, von der Lagune die Salsa, aus Südwesten der Garbin. Der Garbin, da kann man sagen, was man will, ist ein überaus charmanter Wind, das wusste schon der heilige Bernado von Siena. 1427 fragte er einen Bischof. „Wart Ihr je in Venedig? Manchmal erhebt sich des Abends ein leichter Wind, der über die Oberfläche der Wellen hinwegstreicht und dabei einen Klang macht, den man die Stimme des Wassers nennt.“ Und Bernado von Siena vermutet, es handele sich näherhin um den Atem Gottes.

Liebe in Zeiten der Cholera - und der Pest

Der berühmteste Wind Venedigs aber kommt nicht aus Südosten, sondern aus Südwesten: der Scirocco, eher kein Atem Gottes. Die Germanisten mögen etwas anderes sagen, aber in Thomas Manns „Tod in Venedig“ geht es eigentlich nur darum, von wo der Wind weht. Und Gustav von Aschenbach wäre der Tod in Venedig erspart geblieben, hätte er den Vorsatz vom Tag seiner Ankunft befolgt: „... wenn der Wind nicht umschlug, war seines Bleibens hier nicht.“ Aber der Scirocco blieb genau wie Aschenbach. Dabei war Thomas Mann der Unterschied zwischen dem scirocco di levante und dem scirocco di ponente und dem scirochetto gewiss nur ungenügend bewusst.

In dieser Erzählung geht es, wie jeder weiß, um die Liebe in den Zeiten der Cholera, aber auch in den Zeiten der Pest hatte der Scirocco keinen besseren Ruf in Venedig, ganz im Gegensatz zur Bora. Wer die Pest überleben wollte, musste ein Nordfenster besitzen und niemanden anderen hereinlassen als die klare, kühlende Bora. Hält man die Hand in den Luftzug, der über die Lagune streicht, und murmelt in Gegenwart Einheimischer etwas von „bora“ oder „scirocco di ponente“, kann ein plötzliches Leuchten in ihren Gesichtern erscheinen. Endlich einmal kein Tourist!

Venezianer wissen, woher der Wind weht

Venezianer ist längst nicht mehr, wer hier geboren wurde. Seit selbst die Nobili die Stadt verließen und Leuten wie Christopher Lambert, Manager von The Who, ihre Palazzi am Canal Grande überließen, ist das kein Maßstab mehr. Venezianer ist, wer weiß, woher der Wind weht.

Christopher Lambert wusste es offenbar nicht. Kurz nachdem er das Ca’ Dario gekauft hatte, fiel er in London eine Treppe runter und war tot. Der Vorbesitzer Conte Giordano delle Lanze starb durch den Schlag mit einer Vase auf den Kopf. Den Nachbesitzern ging es nicht besser. Und heute? Um das Ca’ Dario geht kein Hauch, nicht mal ein scirochetto.

Bisher erschienen: „Kugelblitze“ (13.7.), „Wo das Meer leuchtet“ (16.7.), „Cabrio“ (19.7.), „Blitz komm raus“ (22.7.), „Zwiebelsäckchen“ (26.7.), „Ein bisschen Matsch“ (29.7.), „Fahrenzeit 120“ (1.8.) und „Urlaub im Sternenpark“ (4.8.)

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