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BILLIE CLARKEN
Suspension of Disbelief, 2022
UV printing on PVC, plywood, 196 × 455 × 50 cm (Courtesy of the Artist) 

© Tim Plamper

Kunst im Büro : Jeder, der will, darf stören

Der Berliner Künstler Tim Plamper hat 16 Positionen zusammengetragen und damit eine Ausstellung kuratiert. In einem Architekturbüro, bei laufendem Betrieb.

Von Titeln zeitgenössischer Ausstellungen auf ihre Inhalte zu schließen, kann in die Irre führen. Allzu oft wirken die Überschriften, als hätten sich ihre Schöpfer selbst ein bisschen in moderner Abstraktion versucht. Auch die am Donnerstag eröffnete Gruppenschau „Mental Hot Spot“ lässt zunächst Schwammiges vermuten.

Hot Spot – manch einer dürfte an mobiles WLAN, andere an einen belebten Ort denken: als Titel greifbar und zugleich, wie das Mentale selbst, ungreifbar und widersprüchlich. Und genau das ist laut titelgebendem Kurator und Künstler Tim Plamper auch die Idee: Er wollte strahlende Momente schaffen, die Leute zusammenbringen und Gedanken stiften.

Das Berliner Architekturbüro OOW lässt bereits zum zweiten Mal eine umfassende Kunstintervention in ihre Arbeitsräume. Das interventionistische Spiel findet gleich auf mehreren Ebenen statt: Als Kurator interveniert Plamper selbst mit Kunst, Raum und den Arbeitsprozessen vor Ort, bringt hier 16 künstlerische Berliner Positionen zusammen, die sich ihrerseits interventionistisch betätigen. Und mit Betreten dieses eigentlich nicht öffentlichen Raums interveniert schließlich der Besucher – jeder darf kommen und den Arbeitsbetrieb, den Büroalltag stören.

Die OOW-Adresse liegt in der großräumigen ersten Etage eines ehemaligen DDR-Westkorrespondenten-Lesesaals. Überwindet man sich und betätigt die Klingel, steht man am Treppenabsatz vor einer Vitrine mit einem Miniaturmodell des Berghain. Kein Portfolioprojekt der Architekten, sondern das Werk „I’ve never been to Berghain“ des Künstlers Philip Topolovac macht den Auftakt: ein originalgetreuer, mit barocken Techniken geschaffener Korknachbau des wohl meist mystifizierten Berlin-Klischees von einem „Hot Spot“.

Maxmie Ballesteros Fotografie „Puzzle“, hängt über einem Durchgang mit Blick auf Billie Clarkens „Suspension of Disbelief.

© Tim Plamper

Am Ende der Treppe begegnet man dem Skulpturen-Ensemble „All the Girls Standing in the Line for the Bathroom“ von Rebekka Benzenberg. Drei durch Rasur und Tätowierung manipulierte Pelzmäntel, die mumienartig archaisch erscheinen, in ihrer Organik aber seltsam einladend und lebendig ihre Umwelt einbeziehen.

Aufhebung von Gegensätzen

Unfreiwilliges Zentrum der Ausstellung bildet eine knapp 1,9 mal 4,5 Meter große, gerenderte Buchshecke von Billie Clarken mit dem Titel „Suspension of Disbelief“. Inmitten einer langen Schreibtischinsel thront sie auf sechs Arbeitsplätzen, die dadurch unbenutzbar sind. Von Bürocomputern umgeben, wird sie zum gigantischen Bildschirmschoner, zum brachialen, Grenzen sprengenden Raumteiler, der architektonische Gegensätze souverän aufhebt.

„Alle gegen Alle“ von Lukas Glinkowski

© Tim Plamper

Viele herumstehende Objekte tragen keine Titel. Teilweise handelt es sich um Kunst, teilweise um Mobiliar, teilweise aber auch um Material- und Formproben der Architekten. Sie sind nicht Teil der Ausstellung, aber auf ihre Weise Teil des Konzepts: Es galt schließlich nicht, einen White Cube mit Inhalt zu füllen, sondern einen belebten Raum künstlerisch zu erweitern. Das vielleicht einzige kuratorische Manko, dass die Zusammenhänge einiger Werke ein wenig willkürlich erscheinen, stört deshalb nicht. Im Gegenteil: Das Chaos des belebten Baus zeigt die im eigentlichen Sinne natürliche Umgebung der Kunst.

Zwei weitere Positionen unterstreichen das: Die „Softshells“ von Emma Adler sind gespiegelt an eine Säule montierte Waschbecken, die tatsächlich wie überdimensionale Muscheln wirken – Ready Mades, aber nicht im Sinne Duchamps. Diese hier fügen sich organisch in den Raum, provozieren nicht. Zum anderen Christian Kölbls „Neuwagen“: eine nach Neuwagen riechende Parfum-Kreation, die Kunst ist, aber gleichermaßen auch Produkt, das gekauft und benutzt werden will und den Raum um eine olfaktorische Note erweitert.

Auch von Plamper selbst ist ein Werk zu sehen: „HK-MK“ aus dem Jahr 2015. Die hölzernen Stäbe bilden das Schriftbild Kleists Michael Kohlhaas nach.

© Tim Plamper

Plampers Wunsch, Kunst und Architektur ästhetisch-praktisch zu verzahnen, geht auf. Und, auch wenn die Eintrittshürde ((Türklingel, arbeitende Menschen), verglichen mit gewöhnlichen Ausstellungs- und Projekträumen ungleich viel höher liegt, fällt der Zugang zu dieser nahtlos in den Arbeitsalltag eingewobenen Kunst so in vielerlei Hinsicht leichter.

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