zum Hauptinhalt

Belarus Free Theatre, Schlussapplaus "Dogs of Europe".

© Maria Petrenko

„Kunst ist keine Politik“: Das Festival „Radar Ost“ im Deutschen Theater Berlin

Bei dem diesjährigen Festival „Radar Ost“ steht die Frage im Raum, was Theater – in Anbetracht eines Krieges in Europa – soll und kann. Ein Schwerpunkt liegt auf Produktionen aus der Ukraine.

Was soll das Theater – und was kann es überhaupt – angesichts der gegenwärtigen Kriege, Krisen und Katastrophen? Neu ist die Frage freilich nicht. Aber dass sie sich beim Festival „Radar Ost“ im Deutschen Theater Berlin besonders akut stellte, wo dieses Jahr schwerpunktmäßig Produktionen aus der Ukraine gezeigt wurden, liegt auf der Hand.

Kunst kann die Wirklichkeit „überformen“

Ähnlich verhält es sich mit dem Gedanken, den der DT-Intendant Ulrich Khuon in seiner Eröffnungsrede formulierte: „Kunst ist keine Politik, sonst würde sie sich auflösen“ – klar.  Die Erinnerung daran, dass die Kunst einerseits weniger, auf einer anderen Ebene aber auch mehr könne als Politik – nämlich die Wirklichkeit „überformen“ und so andere Reflexionsräume schaffen – war im konkreten Kontext trotzdem wohltuend zu hören.

„Ha*l*t“, die Auftakt-Produktion des bereits in fünfter Auflage von Birgit Lengers kuratierten Festivals, sucht diese Räume bei William Shakespeare. Am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine, hatten im Left Bank Theatre in Kyjiw eigentlich die Proben zu einer „Hamlet“-Inszenierung beginnen sollen. Diese nicht stattgefundene Produktion macht die Regisseurin Tamara Trunova nun in ihrer Uraufführung in den DT-Kammerspielen zum Thema, indem sie mit ihrem Kyjiwer Ensemble explizit die Leerstelle umkreist, für die symbolisch auch die Buchstabenauslassungen im Titel stehen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Zum Schluss setzen sich blutroten Tannen in Bewegung

Der zaudernde Dänenprinz mit seinen berühmten Fragenkatalogen an die menschliche Existenz – Stichwort: „Sein oder Nichtsein“ – wird den Künstlerinnen und Künstlern auf der Bühne zur Folie für eine intensive Selbstbefragung. Und zwar in einem klugen Setting, in den der Krieg erst langsam, durch minimale Irritationen zunächst nur, eindringt. Zur Gänze realisieren die Spielenden, die sich – so Trunovas Konzept – zunächst in einem klassischen Publikumsgespräch nach erfolgt-erfolgreicher Shakespeare-Aufführung in Kyjiw wähnen, die tatsächliche Situation erst, als der inzwischen an der Front kämpfende Darsteller des Fortinbras per Video zugeschaltet wird. Fragen um Sein, Kunst und Gewissen werden aufgeworfen, die Namen im Krieg Getöteter gerufen, schuldbewusst die eigene Kunstausübung dagegengehalten, und zum Schluss setzen sich die blutroten Tannen, die die Regisseurin auf die Bühne gestellt hat, in Bewegung Richtung Rampe: eine Reverenz an ein anderes Shakespeare-Stück, „Macbeth“, an dessen Ende vermeintlich der Wald von Birnam „marschiert“.

Kunst ist keine Politik, sonst würde sie sich auflösen

Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theater

Intimer und gegenständlicher, aber mit ähnlichen Fragen befasst ist auch die zweite ukrainische Festivalproduktion, das Gastspiel „Human?“ des Kyjiwer Musiktheater-Duos mariia&magdalyna. In der Box, der kleinsten Spielstätte des DT, stehen die beiden Performerinnen an der Rampe und sprechen, getrieben vom Takt der Musikerin Khrystyna Kirik, atemlos Tagebuchaufzeichnungen in Mikrofone: Niederschriften, die während des ersten Kriegsmonats entstanden sind und mit Bibelzitaten in universelle Daseinsfragen hinein entgrenzt werden.

Das Ensemble spielt sich durch einen autoritären „Superstaat“

Jenseits des Kriegsalltages, namentlich in einer überaus bedrohlichen Zukunft des Jahres 2049, spielt hingegen das dritte „Radar-Ost“-Gastspiel – nicht aus der Ukraine, sondern vom Belarus Free Theatre, der berühmten Minsker Untergrundbühne, deren Mitglieder im Jahr 2021 aus Angst, inhaftiert zu werden, ins Exil nach London gingen. Auf der Grundlage des in Belarus verbotenen Science-Fiction-Politthrillers „Dogs of Europe“ tanzt und spielt sich das Ensemble mit den absichtsvoll derben Mitteln der Farce und politisch-kritischen Karikatur in Nicolai Khalezins Inszenierung durch einen autoritären „Superstaat“, ein „New Reich“, das sich über das heutige Belarus und Russland erstreckt: Eine vollendete Dystopie, bei der sich – rein inhaltlich betrachtet – enorme Erleichterung Bahn bricht, wenn sie nach drei Theater-Stunden endet.


Belarus Free Theatre, Schlussapplaus "Dogs of Europe".
Belarus Free Theatre, Schlussapplaus "Dogs of Europe".

© Maria Petrenko

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false