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Terracotta-Skulpturen von Arturo Martini, wie sie bei der 18. Biennale von Venedig 1932 ausgestellt waren. „Die Wache“ (links) und „Der Flieger“, beide von 1931.

© Delfino Sisto Legnani und Marco Cappelletti / Fondazione Prada

Ausstellung in Mailand: Kunst und Faschismus im Italien der Zwischenkriegszeit

Spurensuche: Die Mailänder Fondazione Prada präsentiert anhand der damaligen Ausstellungen ein Panorama der Kunst und Kultur Italiens von 1918 bis 1943.

Wenn der „Duce“ einer Feierlichkeit beiwohnte oder eine Ausstellung eröffnete, trug er meist Frack und Stehkragen und hielt in der Hand einen Zylinder. Allenfalls der knapp ausgeführte „römische Gruß“ – den sein Bewunderer Hitler als „deutschen Gruß“ nachahmte – wies auf das Regime hin, das Benito Mussolini anführte: den italienischen Faschismus. 21 Jahre waren Mussolini und seine „Fasci italiani di combattimento“, seine als „Schwarzhemden“ bekannten Kampfgruppen, an der Macht, von 1922 bis zum sehr plötzlichen Zusammenbruch am 25. Juli 1943. In diesen zwei Jahrzehnten wandelte sich das Regime erheblich. Was wir heute mit dem Faschismus assoziieren, bildete sich erst in den dreißiger Jahren zur Gänze aus.

Der Faschismus liebte es, sich in Ausstellungen darzustellen, sich und die Künste, die er zu neuer Blüte zu führen behauptete. Es gab nicht nur die Biennale von Venedig, sondern eine ganze Reihe von Triennalen und Quadriennalen, in Mailand, Rom oder Neapel.

Die seit 2015 in einem großzügigen Gebäudekomplex im Süden Mailands ansässige Fondazione Prada hat sich jetzt von Germano Celant, dem alterslosen Großmeister der italienischen Kuratoren, eine Ausstellung über Kultur und Politik in Italien zwischen 1918 und 1943 zusammenstellen lassen. Sie erzählt entlang der wichtigsten Ausstellungen zwischen den Kriegen die Geschichte der damaligen Selbstdarstellung Italiens. Der Titel „Post Zang Tumb Tuum“ führt in die Irre, bezieht er sich doch allein auf den Futurismus am Anfang dieser Zeitspanne.

Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Celant hat mit einem kopfstarken Team anhand von offiziellen Fotografien die damals gezeigten Werke identifiziert – und in überraschend reichem Maße ausfindig machen können. In der Prada-Stiftung sind die historischen Fotos als Grauraster auf die Wände der zwei Dutzend Ausstellungsräume projiziert, dergestalt, dass originale Kunstwerke nun die Stellen der Fototapeten besetzen, die ihren damaligen Platz bezeichnen.

Das ist eine ebenso einfache wie geniale Idee; denn so repräsentieren die rund 600 aus Museen und zahllosen Privatsammlungen entliehenen Werke ungeachtet ihres Entstehungsdatums die Jahreszahlen, unter denen sie bei Prada gezeigt werden, fortlaufend von 1918 bis 1943. Es geht also nicht um eine Chronologie der Kunst, sondern um die Chronologie ihrer öffentlichen Präsentation. Das macht durchaus einen Unterschied.

Es ergibt sich nämlich im Italien der Zwischenkriegszeit eine erstaunliche Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Der Futurismus, der vor dem Ersten Weltkrieg entstand, machte sich dem Regime dienstbar, dessen kriegerische Pose dem Selbstbild der Futuristen entsprach. Fortan wurde der Duce als Überwinder des italienischen Traditionalismus gefeiert, der zugleich allerdings die Protektion des Regimes genoss, in Gestalt der Nachkriegsströmung des „Novecento“, der nach der gleichnamigen Zeitschrift benannten wertkonservativen Richtung nämlich. Überhaupt zeigt sich der Faschismus in seinen kulturellen Großereignissen als Nebeneinander der Gegensätze, solange nur immer alles als „Bewegung“ auftrat. Die im großzügigen Kinosaal der Fondazione abgespielten Wochenschauen zeigen das in den zackigen Bewegungen und markigen Begrüßungen, vor allem dem Tempo, in dem Mussolini die Räume durcheilt, um anschließend im Dienstauto davonzubrausen.

Imperialistische Politik wird nicht ausreichend dargelegt

Tatsächlich hat die figurative Kunst ein erdrückendes Übergewicht – doch was heißt „figurativ“ mehr, als dass eben Menschen dargestellt werden? Heroisch sind sie in den seltensten Fällen, und selbst wo sie Rosse bändigen oder Ringkämpfe aufführen, tun sie es eher aus zeitlosem Pflichtgefühl denn aus regimegemäßem Fanatismus. Gern suchen die Künstler Zuflucht in antikischen Posen – berief sich doch Mussolini auf das Erbe Roms. Frauen sind ohnehin auf die Rolle als Mutter und Familienmittelpunkt begrenzt, mochte sich der Faschismus auch gern ein Air von Modernität geben. Die jedoch beschränkte sich auf die Helden der Lüfte – respektive der Luftwaffe –, ein Topos, der um 1935 von Italien bis Sowjetrussland überaus populär war.

Da aber beschleicht den Besucher der Prada-Ausstellung doch ein gewisses Unbehagen. Kann man die Geschichte der Zwischenkriegs-Kultur Italiens, zumal unter dem anspruchsvollen Untertitel „Kunst, Leben, Politik. Italien 1918- 1943“, zeigen, ohne die imperialistische Politik der dreißiger Jahre darzulegen? Das Regime bezeichnete sich selbst als „Imperio“ – und seinem König, dieser Marionette Viktor Emanuel III., hängte es den Titel eines „Kaisers von Abessinien“, nämlich dem auf verbrecherische Weise niedergerungenen Äthiopien, an. Die militärische Unterstützung für die Franco- Putschisten war weit umfangreicher als die der „Legion Condor“ der Nazis.

Es geht nicht darum, in eine kunsthistorische Darstellung Zeitgeschichte einzuflechten – nur hier, wo die Kultur Italiens im Medium der regime-offiziellen Ausstellungen gespiegelt wird, ist es eine Grundvoraussetzung. Es reicht nicht, etwa die Kolonialausstellung in Neapel, die Triennale  „delle terre d’oltremare“ von 1940, lediglich kurz zu streifen.

Mit 600 Leihgaben ist die Schau zu groß geraten

Die intensivsten Auseinandersetzungen gab es in der Architektur. Da ging es um große und größte Aufträge. Wie intensiv – und mit welchem Arsenal – gekämpft wurde, lässt sich beispielhaft am Fall des hochmodernen Bahnhofs von Florenz zeigen, den der „Gruppo Toscano“ gegen heftigste Widerstände von Konkurrenten und konservativen Stadtoberen bis 1935 ausführen konnte. Allerdings: Diesen Konflikt kann man in einer ständigen Ausstellung im Florentiner Bahnhof nachvollziehen, während man in Mailand eher im Dunkeln tappt.

Dabei sind Planungen des Regimes seinerzeit ausgestellt worden, von der Propaganda im Film ganz abgesehen – der freilich vor allem die technische Rückständigkeit des Baugeschehens vorführt, mit überwiegendem Anteil von Muskelarbeit. Die Staatsbauten sollten in „E 42“ kulminieren, dem für die Weltausstellung geplanten neuen Stadtteil Roms. Sie wurde wegen des Krieges abgesagt, „E 42“ aber nach 1945 getreulich von denselben Architekten zu Ende gebaut.

Damit geht auch die Mailänder Ausstellung zu Ende, deren Räume in gleich mehreren Bauten der Fondazione im Laufe der mit Jahreszahlen sorgfältig bezeichneten Chronologie immer größer und voller werden, bis man gar nicht mehr alle Arbeiten überblicken kann oder auch nur mag; mit 600 Leihgaben ist die Ausstellung ohnehin zu groß geraten.

„Achse Berlin-Rom“ in der Kunst

Zu sehr ähnelt sich die Kunstproduktion im Laufe der Jahre, zu selten auch sind die für sich hochinteressanten Dokumente an Büchern, Zeitschriften und Zeitungsausschnitten eingestreut. An die visuelle Kraft der legendären Ausstellung „Anni trenta“, veranstaltet 1982 ebenfalls in Mailand, kommt die jetzige Unternehmung nicht heran.

Der Kunstgriff mit der Recherche historischer Ausstellungen erschöpft sich. Als Rettungsanker erweist sich der 660 Seiten starke, hochinformative Katalog. In ihm wird auch die epochale „Mostra della Rivoluzione Fascista“ von 1932 zum 10. Jahrestag von Mussolinis Machtantritt in all’ ihrer propagandistischen Wucht dargestellt, die die Prada-Ausstellung naturgemäß nicht wiederbeleben kann.

Aus Berliner Sicht verdient eine Ausstellung besonderes Interesse: „Neue Italienische Meister“ im Kronprinzenpalais 1933. Eröffnet wurde sie vom frischgebackenen preußischen Ministerpräsidenten Göring. Zwei der damaligen Bilder sind jetzt in Mailand zu sehen, „Mutterschaft“ von Felice Casorati und „Bildnis des Bruders“ von Giorgio de Chirico. Beide erwarb die Nationalgalerie, wohl mit Blick auf die sich anbahnende „Achse Berlin-Rom“. Nicht nur als Kunst, sondern auch als Zeitdokument verdienten sie, in Berlin erneut gezeigt zu werden.

Mailand, Fondazione Prada, Largo Isarco 2, bis 25. Juni. Katalog (in englischer Sprache), 660 S. m. 948 Abb., 90 €.

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