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Muh! Der ideale Sommerduft enthält Moschus und Butter - also ganz viel Kuh.

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Sommernächte (3): Sommernachtsdüfte: L’air du Muh

Lang ersehnt, erträumt, erdichtet und erinnerungsträchtig: Sommernächte sind die schönste Auszeit des Jahres. In den Ferien erzählen wir an dieser Stelle davon. Diesmal: Sommernachtsdüfte.

Die Frühsommernacht, die ist ganz Lindenblüten, Sehnsucht, Junimond, ganz Herz öffnen und Flügel ausbreiten, ganz Schlafen verlernen und hellsichtig werden. Oh Juninacht / Wie oft hat mich / dein süßer Duft / um den Verstand gebracht! Ähem, ja. Sogar in der großen Stadt, wo die lauen Nächte laut sind und nach Bier, Benzin, Bratwurst und Brackwasser riechen. Geruchsbanalitäten, ausgelöscht, sobald ein leichter Frühsommerregen die blühenden Bäume netzt. Dann weht er durch die Straßen, der Honigduft, der Sinne weich und willig macht.

Juli, das kann Meersalz sein und Seetang

Die Hochsommernacht, die ist ganz Kindheitsmuster. Die ist Karl Krolow: „Die Minze aus den Gräben weht“. Die ist Rosen- und Lavendelduft. Die ist das Geschnober der Igel unter dem offenen Fenster. Sie ist Heu, vor allem Heu. Im Juni die erste Grasmahd, der frische Schnitt, der grasiggrüne, in vollem Saft gekappte Halm, der Überschwang. Im August dann die zweite Mahd, Grummet genannt. Weniger ungestüm, dafür würziger, kräuteriger. Ein kuscheliger Duft. Beruhigend nach dem Juli, diesem schwitzigen Teenagertraum. Juli, das kann Meersalz sein und Seetang. Das ist Sonnenöl um Mitternacht. Und es ist Baggersee. Ein Kiesteich weit und wild wie der Ozean. Holzfeuergeruch und Gitarrengeklampfe auf der Haut. Im Mund und in der Nase und im Kopf für immer und ewig diesen matten, mineralischen Grundwassergeschmack. Und die kühle Brise, die der Morgenröte des ganzen offen stehenden Lebens vorausgeht.

In den Bergen übrigens, da ist die Hochsommernacht ganz Kuh. „Mondhörnig schüttelt / sein Haupt das Rind / und weidet dunkel am Bach“, weiß Peter Huchel, nicht erwähnend, dass eine Herde Rindviecher ein ganzes Tal in Moschus, Butter und Seligkeit hüllen kann. Das ist nicht Tier, wonach der nächtens wohlig warm nachpochende Alpsommer riecht, das ist auch nicht Kräuterzucker, das ist – ja was ist es eigentlich? Das ist das Paradies. Die Ahnung, endlich versöhnt zu sein. Mensch und Natur. Sommer und Winter. Heidi und Geißen-Peter. Himmel und Erde. Einst und Jetzt.

Pralles Leben und wehmütiges Vergehen zugleich

Bevor das olfaktorische Glück unerträglich wird, kommt der Nachsommer. Mit seinen taugetränkten, erdigen Nächten. Mit seiner Beerenfülle. Mit seiner Astern- und Zinnien-Pfefferigkeit. Am prächtigsten duftet der Sommer, wenn er vergeht. Nach prallem Leben und wehmütigem Vergehen zugleich. Oben die spritzigen Augustäpfel, in der Mitte die süßen Brombeeren, unten – im wespenzersetzten Fallobst – gärt trunkene Vergänglichkeit. Die Balkontomaten setzen silbrige Spinnennetze statt neuer Früchte an. Höchste Zeit für einen genialen Parfumeur wie Patrick Süskinds Jean-Baptiste Grenouille, den idealen Sommerduft zu destillieren. Was hinein muss? Lindenblüte, Baggersee und ganz viel Heu und Kuh. Auf dass der Sommer unendlich sei. Der Name? Tilleullacvache No. 1 oder noch besser: L’air du Muh.

Weitere Texte der Serie: Draußenschlafen (10.7.), Die Nachtigall (13.7.), Weckerklingeln (20.7.), Marseille (24.7.), Hoteltipps (27.7.), Seenot (30.7.), Wintersehnsucht (2.8.), Glühwürmchen (7.8.), Dunkelheit (10.8.), Fähren (14.8.), Mücken (20.8.), Lebensfries (24.8.)

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