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Menge los in unserem Leben, oder? Szene aus Leander Haußmanns "Staatssicherheitstheater".

© Christoph Soeder/dpa

Leander Haußmann an der Volksbühne: Eine schöne Rache am alten Stasi-System

Die DDR als Prenzlauer-Berg-Hütte: Leander Haußmanns fideles „Staatssicherheitstheater“ ist die erste große Eigenproduktion der neuen Volksbühne.

Alle wieder mal da. Volles Haus, Erwartungsbrummen. Die Laune war schon mal schlechter. Frank Castorf ist gekommen, Henry Hübchen auch, alles wie früher fast. Die Volksbühne fühlt sich gut an, wie ein richtiges Theater, das hat Klaus Dörr, der Interimsintendant (was für ein hässliches Wort) geschafft. Die Heimspielempfindung hat natürlich mit Leander Haußmann zu tun, der zur Familie gehört, auch wenn er am Rosa-Luxemburg-Platz als Regisseur nie zu den Frontleuten zählte. Und das Thema bringt es mit sich. Wenn auch schon lange nicht mehr der Schriftzug „OST“ auf dem Theaterdach steht – Osten ist drin.

„Haußmanns Staatssicherheitstheater“, das ist eine klare Komödienansage. Die DDR lebt als Kunstprodukt weiter. In Haußmanns Kinofilmen („Sonnenallee“, „NVA“) hatte man schon immer den Verdacht, dass dieser seltsame ostdeutsche Kleinstaat aus der Klamotte lebte, aus Fiktionen, die einander feindlich entgegenstanden.

Es wirkt wie eine schöne Rache am alten System, das viele Menschen aus der Arbeit warf, aus ihren Lebensentwürfen: Haußmann, der bald sechzig wird, verwertet den rohen Stoff bis zum Letzten. Er plant einen Roman und einen Film zum Stasissyndrom, das an der Volksbühne uraufgeführte Stück kann als Zwischenergebnis einer jahrelangen Beschäftigung mit Akten und Erinnerungsschätzen gelten. Es sieht auch so aus: ein Reigen von Szenen, Skizzen, Musiknummern. Es dauert trotzdem oder eben deshalb reichlich dreieinhalb Stunden. Findet kein Ende. Gute alte Castorf-Schule. Wie gesagt, vieles wie früher. Und früher war ja auch nicht alles gut.

Munkeln im Dunkeln der Prenzlauer-Berg-Hütte

Die Volksbühne ist ein Haus für großes Schauspiel. Groß gedacht, in großen Dimensionen angelegt. Sonst geht es nicht. Lothar Hollers Bühnenbild beweist das eindrucksvoll. An der Rampe steht – im Querschnitt – ein Berliner Mietshaus, von der Kneipe unten bis zum Dach, wo Schnüffler sich verstecken und auch sonst allerlei Munkeln im Dunkeln ist. Der Clou: Das Haus lässt sich herauf- und herunterfahren, so dass man einmal die volle Ansicht hat, mit Bad und Küche, Wohnzimmer und Treppenhaus und Flur mit Klo, ein andermal nur eine Etage sieht; dann hocken die Kneipenbewohner im Keller, unsichtbar, und die Musik spielt weiter.

Die Prenzlauer-Berg-Hütte hat Raum für Künstler, Stasi-Büros, Rentner und Paare, deren Partner im Handumdrehen wechseln, es ist schließlich eine Komödie unter dem Motto: „Besser eine gute Lüge als eine beschissene Wahrheit.“ Sagt ein Schriftsteller, als ihm lange nach der Wende ein Liebesbrief um die Ohren fliegt, den seine Frau in der Stasi-Akte findet. Oder in einem alten Fotoalbum, aber das ist egal, weil die Stasi, spezialisiert auf Zersetzung und psychologischen Nahkampf und letztlich auf die Selbstzerstörung, das Schriftstück dort deponiert hat.

Der Satz von der guten Lüge gilt für Leander Haußmanns „Staatssicherheitstheater“ überhaupt. Es kommt lustig an und selten bitter, nie brutal. Die Stasi trainiert ihre Nachwuchsleute für die Infiltrierung der Künstlerszene. Sie müssen lernen, cool zu sein, einen Rolling-Stones-Song anzusingen („You can’t always get what you want“), in Wohnungen einzubrechen und Objekte zu platzieren, die den Mann oder die Frau eifersüchtig machen.

Die größte Szene: Zwei Stasi-Trottel verheddern sich in einem fremden Bett. Trinken Wein, probieren schwulen Sex, philosophieren über die Subtilität ihrer Arbeit und werden ständig beinahe entdeckt, woraus sich mehrere Familientragödien entwickeln und ein blutiger Zwischenspurt. Grand Guignol und mörderische Feydeau’sche Bürgerlichkeit, es war vielleicht spannend damals, jedenfalls unterhaltsam! Da haben die Westler echt was verpasst!

Wie komisch kann es werden?

Das war bei Castorf auch immer der Fall, jedenfalls in den Neunzigern. Die Volksbühne demonstrierte nicht bloß intellektuelle Überlegenheit, sondern auch die Entertainerhoheit des Ostens. Aber jetzt haben wir fast schon 2019, und da kann diese versöhnliche Art irritieren, diese Demonstration von Gemütlichkeit, diese Sehnsucht nach einer Jugend, die sich fast überall verklärt. Andreas Dresens „Gundermann“-Film hat auch die Neigung, die DDR- und Stasi-Geschichte nicht unbedingt zu romantisieren, aber doch als Eigenes zu verteidigen gegen fremde Interpretation und Empörung.

Wie komisch kann es werden? Von Szene zu Szene steigert sich am Premierenabend das große Ensemble mit Uwe Dag Berlin, Antonia Bill, Waldemar Kobus, Horst Kotterba, Matthias Mosbach, Christopher Nell, Silvia Rieger, Eric Spiering, Norbert Stöß und Lennart Hillmann, Karl Schaper, Daniel Felix Adolf und Sir Henry an den Tasten und Herman Herrmann an der Gitarre. Fakt ist: Man hat viel gesungen in Stasiland, in Bautrupp und Boheme.

"Mehr Berichte als Gedichte" fordert der Offizier vom IM

Vom roten „Kleinen Trompeter“ über Schlagerglück mit Frank Schöbel und Chris Doerk zu Nina Hagens Kreischtum und Bettina Wegners Chansontrotz („Traurig bin ich sowieso“) reicht das Repertoire. Stasi-Leute und Stasi-Beute, alle singen gemeinsam mit Inbrunst. Von Tätern und Opfern kann in diesem VEB Flach und Lach nicht die Rede sein, auch nicht von Figuren mit Persönlichkeit. Was umso mehr auffällt, als es an dem langen Abend zu überraschenden Ausreißern kommt.

„Mehr Berichte als Gedichte“ fordert der Offizier vom IM. Ein Sascha-Anderson-Typ hält seinen nackten Hintern ins Publikum und steigert sich in einen lyrischen Hassausbruch. „Sascha Arschloch“, na klar. Schließlich kommt die ganze Truppe in Barokoko-Kostümen (von Janina Brinkmann), und Stasireich wird zum absolutistisch regierten Speichellecker- und Laffenland, mit Stasi-Akten-Lesung.

Premierenüberraschung: Alexander Scheer und Detlev Buck

Fertig die Komödie? Nicht ganz. Großer Umbau, und da sitzen sie an einem schicken Tresen, unter ihnen Leander Haußmann, und als Premierenüberraschung tauchen Alexander Scheer und Detlev Buck auf, mit einer kleinen „Sonnenallee“-Reminiszenz. Muss Vergangenheit wehtun, wer braucht heute noch die „beschissene Wahrheit“? Ist Lachen unbedingt befreiend und subversiv? Dafür schleppt sich „Haußmanns Staatssicherheitstheater“ viel zu sehr über die Runden und rutscht in die Castorf-Parodie.

Die entscheidende Frage aber ist: Was ist mit diesem Accessoire, das alle Typen hier herumtragen immerzu? Im Westen nannte man das Herrentasche, etwas für ältere Männer. Gab es die lächerlichen Dinger im Osten etwa auch, oder nur für Parteifunktionäre? Dann hätten wir eine Gemeinsamkeit mehr.

Fertig jetzt mal mit der DDR? Nie. Ende Januar wird am Berliner Ensemble „heiner 1-4“ von Fritz Kater (Armin Petras) uraufgeführt, Leben und Werk Heiner Müllers auch wieder mit Komödientendenz. Wer zuletzt lacht ...

Wieder am 21.12., 5.1. und 24.1.

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