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Stark sozial engagiert. Leonie Ossowski (1925-2019).

© Pedersen/dpa

Zum Tod der Schriftstellerin: Leonie Ossowski, die schlesische Aufklärerin

Immer voll auf der Rolle: Sie erzählte von den Lebenswirren in Ost und West und engagierte sich für eine gerechte Welt. Zum Tod von Leonie Ossowski.

Dass sie gelegentlich als „literarische Sozialtante“ apostrophiert wurde, nahm die Dame mit dem markanten Pagenkopf gelassen. Bis ins hohe Alter setzte sich Leonie Ossowski für soziale Gerechtigkeit ein. In einem Interview zu ihrem 90. Geburtstag am 15. August 2015 sagte sie, ihr größter Wunsch sei eine Gesellschaft, die „nicht nur Geld und Kapital in den Vordergrund stellt, sondern vor allem die Menschen“.

Und so findet sich in der langen Liste ihrer Veröffentlichungen auch das Sachbuch „Zur Bewährung ausgesetzt. Bericht über Versuche kollektiver Bewährungshilfe“ aus dem Jahr 1972. Denn Jolanthe von Brandenstein, Tochter eines niederschlesischen Gutsbesitzers und einer Schriftstellerin, orientierte sich in ihrem Leben ganz anders, als es für Ihresgleichen vorgesehen war.

Es zog sie in den Westen

1945 musste ihre Familie das Gut in Röhrsdorf (heute Osowa Sien) nach mehr als 700 Jahren aufgeben. Bei der Flucht aus dem Lebuser Land war die 19-Jährige Jolanthe, die dann als Schriftstellerin ein Pseudonym annahm, mit dem ersten von sieben Kindern schwanger. „Plötzlich stand ich selbst auf der anderen Seite des Lebens, da schaut man die Dinge anders an“, erinnerte sie sich. Nach Stationen in Bad Salzungen, Hessen und Oberschwaben blieb sie zunächst in der DDR.

Anfang der 1950er Jahre veröffentlichte Leonie Ossowski erste Kurzgeschichten, gefolgt von dem Drehbuch „Zwei Mütter“, das Frank Beyer für die DEFA inszenierte. Er spielt in einem Krankenhaus kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In einer Bombennacht werden die Babys einer Deutschen und einer französischen Zwangsarbeiterin vertauscht. Trotz dieses Erfolgs zog es Leonie Ossowski in den Westen. 1958 kam sie nach Mannheim, wo sie sich für straffällig gewordene Jugendliche engagierte. Die badische Hafenstadt mit ihrem spezifischen Dialekt, wie ihn etwa der Schriftsteller Wilhelm Genazino sprach, findet sich in Ossowskis Drehbuch für den vierten „Tatort“ mit dem Titel „Auf offener Straße“ und in ihren „Mannheimer Erzählungen“ wieder. Der aktuell amtierende Stuttgarter „Tatort“-Kommissar Lannert, Richy Müller, spielte eine der Hauptrollen in der dreiteiligen Verfilmung von Ossowskis bekanntestem Jugendbuch „Die große Flatter“ von 1977.

Raffinierte Erzähltechnik

1980 übersiedelte die Schriftstellerin mit ihrem dritten Mann nach West-Berlin. Nicht nur als Gefangenenbetreuerin in der JVA Tegel erfüllte die SPD-Sympathisantin Sigmar Gabriels Leipziger Aufruf, wonach die Partei hinaus ins Leben müsse, „da, wo es laut ist; da, wo es brodelt; da wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt“.

Dieser Ansatz färbte auf Ossowskis Erzählen ab, das von strikter Ökonomie, raffinierter Technik und trivialen Liebeswirren geprägt ist. Es umfasst neben Theaterstücken („Voll auf der Rolle“), Drehbüchern und Rundfunkbeiträgen rund 20 Bücher wie ihr Romandebüt „Stern ohne Himmel“ von 1958, die surrealistisch inspirierten „Blumen für Magritte“ oder den Berlin-Roman „Die Maklerin“, in dem es um eine als Tüten-Elli bekannte Obdachlose vom Kudamm geht.

Berühmt wurde sie durch ihre Schlesien-Trilogie

Berühmt wurde Leonie Ossowski durch ihre ab 1976 veröffentlichte Schlesien-Trilogie „Weichselkirschen“, „Wolfsbeeren“ und „Holunderzeit“. Zwei Jahre zuvor hatte sie sich zur Recherche in ihren Geburtsort aufgemacht, als es noch kaum Heimwehtouristen gab. Wie ihre Hauptfigur Anna wandelte sie sich dabei von der misstrauisch beäugten ehemaligen Schlossbesitzerin zu einer gern gesehenen Freundin, die Heimat nicht als Besitz betrachtet. Diese Empathie trug ihre zugleich heftige Kritik von Seiten der Vertriebenen-Verbände ein.

Vielfach wurde sie ausgezeichnet: mit dem Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis, dem Grimme-Preis, dem Brüder-Grimm-Preis. 2004 erschien ihr letzter Roman „Der einarmige Engel“. Darin hoffen die westdeutschen Zwillingsbrüder Conrad und Ludwig von Scherkow, nach dem Mauerfall das brandenburgische Schloss der Eltern wiedererwerben zu können. An diesem Montag ist Leonie Ossowski im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben.

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