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Ligeti neu gelesen. Peter Sellars und Simon Rattle in der Philharmonie.

© Martin Walz

Ligeti-Oper bei den Philharmonikern: Ein Wahnsinn!

Einst Satire gegen den Nationalsozialismus, ist Ligetis Oper „Le Grand Macabre“ heute wieder aktuell. Simon Rattle und Peter Sellars proben das Stück in der Philharmonie.

„Es kommt ja selten vor, dass die Partitur größer ist als der Regisseur“, witzelt Simon Rattle und wuchtet die gelb gebundenen Noten zu György Ligetis „Le Grand Macabre“ neben seinen Sessel. Peter Sellars, dem der Spott galt, amüsiert sich lautstark darüber. Wenn der amerikanische Regisseur zu Gast in der Philharmonie ist, dann wird der Alltag des Orchesters durcheinandergewirbelt, nimmt die Musik szenische Gestalt an.

Ob bei Bachs Passionen oder Debussys „Pelléas“ – oder jetzt gerade bei Ligetis Oper „Le Grand Macabre“. Bislang hatte Rattle mit den Philharmonikern und Barbara Hannigan nur kurze Ausschnitte aus den höllisch schweren Koloraturarien aufgeführt, jetzt sei es Zeit für das ganze Stück. Das kennt kaum einer besser als Sellars, der mit dem Komponisten befreundet war und ihn zu der Überarbeitung bewegen konnte, die seit 1996 stets gespielt wird. „Mit dem Orchester auf der Bühne erlebe ich das Stück erstmals umfassend, es gewinnt ein völlig neues Leben“, schwärmt der Regisseur.

Rattle ist von der Heutigkeit des Werks beeindruckt

Es soll ein Leben jenseits des Schocks sein, den Ligetis Oper einst auslöste. Eine Satire, deren literarische Vorlage sich 1934 gegen den Nationalsozialismus wendete. Der Höllenfürst steigt aus dem Grab, um die Welt zu vernichten, doch die Menschen bekommen davon gar nichts mit, weil sie sich mit Macht- und Lustspielen, Sauf- und Fressgelagen betäuben. Um Obszönität und Brutalität in seine Musik zu bannen, schuf Ligeti eine aberwitzig komplexe Partitur, die den Musikern und vor allem den Sängern alles abringt. „It’s not a terribly relaxing evening“, bemerkt Rattle, der jedoch von der Schönheit der Partitur begeistert ist. Und von der Heutigkeit des ganzen Werks. Man müsse nur mal die „New York Times“ aufschlagen!

Doch Sellars will nicht auf aktuelle Anspielungen setzen. Als Bild dafür, wie nah die vergnügungssüchtige Menschheit ihrem Ende ist, dient ihm in der Philharmonie die Atomenergie und ihre Menetekel Tschernobyl und Fukushima. Er erzählt von Rettungskräften, die nicht zu retten waren, und einer Vernichtungsmacht, die sich gerade wieder in den Sattel schwingt: Weil sie von sich behauptet, die Welt retten zu können. Für seine Einrichtung wird Sellars mit Licht arbeiten („Es sollte überhaupt viel mehr Licht geben in Konzerten!“) und auch mit Videos. Ideen, die nicht nur an drei Abenden in der Philharmonie funktionieren sollen. Anschließend wird „Le Grand Macabre“ noch in Dortmund und Essen aufgeführt, wo die Philharmoniker im Rahmen ihrer RuhrResidenz auftreten. Ein Wahnsinn, befinden Rattle und Sellars. Und stemmen lachend ihre strahlend gelben Partituren.

Aufführungen am 17./18./19. Februar

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