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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

© AFP

Biografie von Erdogan: Ins Autoritäre abgedriftet

Die Journalistin Cigdem Akyol hat eine differenzierte Biografie über den türkischen Präsidenten Erdogan verfasst. Eine Rezension.

Bevor Recep Tayyip Erdogan im Sommer 2014 sein Amt als Präsident antrat, ernannte er Ahmet Davutoglu zu seinem Nachfolger als Ministerpräsident. Eigentlich galt dieser als Vasall Erdogans, eine Einschätzung, die auch die Journalistin Cigdem Akyol in ihrer Erdogan-Biografie teilt. Doch verhielt sich Davutoglu weniger devot als erwartet. Dass er unlängst von Erdogan abserviert wurde, lag auch daran, dass er den Plan, die Verfassung in ein Präsidialsystem umzuwandeln, nur halbherzig unterstützte.

Dieser Vorgang zeigt nicht nur, wie rasch ein Buch von aktuellen Ereignissen eingeholt werden kann, sondern auch, wie sehr Erdogan die türkische Politik dominiert. Tatsächlich sei es vor allem sein Machtwille, der ihn antreibe, erklärt Akyol, und nicht etwa eine religiöse Agenda, wie häufig suggeriert wird. Zwar bezieht Akyol deutlich Position gegen Erdogan, doch erinnert sie auch an seine Leistungen: Als er 2003 die Regierung übernahm, hat er nicht nur das mächtige Militär in seine Schranken gewiesen, die Folter verboten und die kulturelle Autonomie der Kurden lange Zeit gefördert. Gleichzeitig erlebte das bankrotte Land unter seiner Regierung einen beeindruckenden wirtschaftlichen Aufschwung, der vielen Türken mehr Wohlstand bescherte. Und schließlich verdient die Aufnahme von fast drei Millionen Flüchtlingen in der Türkei, auf die Akyol leider nur am Rande eingeht, allemal Anerkennung, was Angela Merkel ja auch ausgesprochen hat. Die Kanzlerin war es freilich auch, die seinerzeit gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy den europäischen Ambitionen der Türkei eine Abfuhr erteilt hatte – für Erdogan eine enorme Enttäuschung.

Antagonismus zwischen den „weißen Türken“ und den „schwarzen Türken“

Verständlich wird die steile Karriere Erdogans, der unter ärmlichen Verhältnissen in dem Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa aufwuchs, erst vor dem Hintergrund des Scheiterns der kemalistischen Elite. Sie hatte sich nach der Staatsgründung 1923 durch Mustafa Kemal, dem späteren Atatürk, herausgebildet, indem sie wichtige Positionen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft besetzte. Kennzeichnend für den Kemalismus war nicht nur ein strenger Laizismus – erst 2010 fiel das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten –, sondern auch eine Marginalisierung des ländlichen Milieus. Akyol bringt hier den Antagonismus zwischen den „weißen Türken“ und den benachteiligten „schwarzen Türken“ ins Spiel, Begriffe, die von der Soziologin Nilüfer Göl geprägt wurden. Erdogan, der eine religiös ausgerichtete Imam-Hatip-Schule besuchte und dort früh durch sein rhetorisches Talent auffiel, sollte schließlich zum Sprachrohr jener „schwarzen Türken“ werden. Seine bis heute in der Türkei ungebrochene Popularität verdanke er wesentlich seinen ohne Manuskript gehaltenen Reden, in denen er sowohl schmeichelt als auch droht und manchmal prononciert anti-intellektualistische Töne anschlägt.

Klima der Angst und der Einschüchterung

Heftige Kritik an Erdogan übt Akyol wegen ständiger Repressalien gegen die Presse und die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Besonders brisant ist der Fall des „Cumhuriyet“-Chefredakteurs Can Dündar, der im Mai 2015 Videomaterial von einem Konvoi veröffentlichte, der möglicherweise Waffen für syrische Rebellen transportierte. Wegen angeblicher Spionage und Vorbereitung eines Staatsstreichs wurde Dündar vom Präsidenten persönlich angeklagt. Unmittelbar nach Erscheinen des besprochenen Buches wurde das Urteil gegen den Journalisten gefällt: fünf Jahre und zehn Monate Gefängnis. Vor allem auf persönliche Kränkungen reagiert Erdogan extrem empfindlich. Geradezu absurd erscheint der Fall eines Arztes aus Aydin, der festgenommen wurde, weil er den türkischen Präsidenten auf Twitter mit einem Gollum verglichen hatte, einer Fantasy-Figur aus der Verfilmung von Tolkiens „Herr der Ringe“. Zunehmend breite sich in der Türkei ein Klima der Angst und der Einschüchterung aus, registriert die Autorin. Nur sehr wenige – sowohl der Befürworter als auch der Gegner Erdogans –, mit denen sie während ihrer Recherchen gesprochen hat, wollen zitiert werden.

Durch die lesenswerte Biografie ergibt sich das Bild eines charismatischen Politikers, der nach hoffnungsvollen Anfängen immer mehr in eine autoritäre Haltung abdriftet. Seine Vision: Die Ausrichtung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag der Republik 2023 im Ak Saray, dem neuen monumentalen Palast des Präsidenten in Ankara, der nicht weniger als 1150 Räume beherbergt. Spätestens dann wäre Erdogan endgültig aus dem langen Schatten Atatürks getreten.

Cigdem Akyol: Erdogan. Die Biografie. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2016. 383 Seiten. 24,99 Euro.

Boris Peter

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