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Irgendwann haben auch die Wassersportler Berlin entdeckt: Segeln am Wannsee.

© Imago Images/Joko

Mein Sommer in Berlin: Currywurst und Pommes per Lautsprecher

Berlin vom Wasser aus: Unser Autor erinnert sich an seine Anfänge beim SFB-Radio und den Reiz der sommerlichen Vergnügungen.

Ein Kommentar von Jens Wendland

Auch mich hat es nach Berlin gezogen – im Juni 91 an den Sender Freies Berlin. Allerdings begann sich die Euphorie der Wiedervereinigung zu verflüchtigen, die Sorgen wuchsen: ob und wie kann sich das SFB-Radio gegen den geballten Kommerz-Funk behaupten; wohin mit meiner Familie – die Wohnungs-Preise schossen des Hauptstadthypes wegen in die Höhe.

Berlin zog mich tagsüber runter. Nach Dienstschluss aber und an den Wochenenden löste sich der graue Alltag auf: Der Sommer nahm die Stadt in Besitz, eine wachsende Leichtigkeit des Seins erfasste auch mich. Den täglichen Weg vom Sender zur Unterkunft säumten ohne polizeiliche Sperrstunde unzählige lauschige Straßen-Kneipen und Cafés, verschwiegene Hinterhof-Lauben – manche noch wie von Zille gemalt.

Der Schultheiß-Berliner traf auf Multikulturelles, Volkes Himmel in den Stadtteil-Parks wurde von den Rauchschwaden der Grills durchzogen, die Kultur zog an immer mehr Orten ins Freie. Auch die Sommerfrische des Ostteils hatte sich erhalten: in einer Ausflugsstätte am Köpenicker Müggelsee wurde ich platziert, teilte mir eine blecherne Lautsprecher-Durchsage Bier und Currywurst zu. Und Balkonien, Berlins privates Ferienparadies wurde auch mein Rückzugsort, wenn es mir zu bunt und laut wurde. Die Hülle und Fülle, Art und Format des Berliner Sommers variierten je nach Kiez.

Der Reiz der Berliner Sommer kurz nach der Wiedervereinigung bestand auch darin, dass die Stadt sich leerte: in den Schulferien schweiften die früher eingeschlossenen Einwohner in die Ferne, obwohl das Gute jetzt so nah und offen lag. Die schrecklich trennende Mauer mutierte zur Wander- und Rad-Route, die Offenbarung, Berlin vom Wasser aus, öffnete unendlich viele Wege und Reviere für Segler, Ruderer, Motorboote, wie „Rund um Wannsee“, ein legendärer wiedervereinigter Regattakurs für jedermann, gerahmt von Kanälen, Ausläufern von Preußens Arkadien, kleinen und großen Badestränden, der Kulisse des Freibads.

Und natürlich blieben die Berliner auch beim Sommer nicht bescheiden: für den Badestrand am Kanzleramt wird jede Menge Sand aufgeschüttet, die Motorjachten werden immer größer, viele könnten an der Croisette festmachen, Hausboote wachsen sich zu schwimmenden Freizeit-Palästen aus. Der Zukunft zugewandt, wird der Berliner Sommer schnell digital, sehr früh erlebe ich einen Flashmob am Ostbahnhof, eine ausgewachsene, übers Internet aus dem Stand organisierte Tanzparty in einer besonders lauschigen Sommernacht. Berlin hat sich um meinen „Sommer“ verdient gemacht. 

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