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BVG statt Flieger für den Urlaub in der Stadt.

© IMAGO/Shotshop

Mein Sommer in Berlin: Hauptstadt auf Pröbchen

Künstler-Agentin Heike-Melba Fendel setzt sich im Sommer in den Bus oder die U-Bahn und fährt zur Endstation. So eröffnen sich ganz neue Perspektiven.

Ein Kommentar von Heike-Melba Fendel

Dass man im Leben nichts geschenkt bekommt, stimmt so ja nicht ganz: In Parfümerien wirft einem das Verkaufspersonal die Pröbchen – „Wollnse Duft oder Pflege?“ – in die Papiertüte.

Natürlich ist das verkaufsfördernd gedacht, aber ein Geschenk ist es trotzdem. Zum einen in Form des aufwändig verpackten Miniproduktes selbst. Zum anderen aber auch als Einladung, etwas auszuprobieren, das man nicht kennt: So so, ein Dekolletéserum. Aha, eine Algenmaske. Wow, Chanel hat seine Nummer 5 nochmal verdünnt …

Berlin ist, nicht nur olfaktorisch, sicher alles andere als eine Parfümerie. Man bekommt hier Parkplätze statt Radwege, Luxussaniertes statt statt Mietpreisbremse oder Große Koalition statt Aufbruch – kurz, lauter sogenannte Aufreger. Aber Berlin kann auch Pröbchen.

Bloß müssen wir Berlinerinnen sie uns selbst in unsere Tage, am besten die freien, packen. Die Pröbchen, die ich meine, sind das Gegenteil von Sehenswürdigkeiten. Die kennen wir ja. Vom Foto, das wir im Zweifel selbst gemacht haben. Die Stadtpröbchen jedoch sind Polaroids, die sich erst im Laufe des Spiels mit dem Unbekannten entwickeln.

Und so funktioniert dieses Spiel: Man denkt sich irgendein, in die Urbanität zielendes, Quatschsystem aus und folgt dessen Willkür. Meine ersten zwanzig Berliner Jahre bestand das System darin, alle zwei Jahre im Sommer umzuziehen, um so die unterschiedlichen Bezirke zu erwohnen – Heimat als Probebohrung.

Als das, aus Gründen, nicht mehr umsetzbar war, kam mir ein Gassenhauer aus Kinderzeiten in den Sinn: Insterburg & Cos „Ich liebte ein Mädchen…“, das Berliner Bezirke mittels gequälter Reime an „Mädchen“ koppelte: „Ich liebte ein Mädchen in Heiligensee, da gab’s zwischendurch Gebäck und Tee“.

Die Gestrigkeit des, nun ja, Humors ignorierend, notierte ich mir alle Orte und lief sie während des Sommers konsequent ab. Diesen Sommer nun lasse ich mir von Berlin Endstationspröbchen schenken: Einfach in irgendeinen Bus oder die Bahn setzen und am letzten Halt aussteigen. Und dann: So so, Michelangelostraße mit Platte. Aha, U-Bahn-Friedhof in Ruhleben. Wow, Wildschweine in Spandau. Natürlich den Sonnenschutz nicht vergessen. Davon hab ich aber sicher noch ein, genau, Pröbchen. 

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