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Illumination in Lyon. In der Stadt formiert sich heftiger Protest gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung.

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Protest gegen Corona-Maßnahmen in Frankreich: Museum geschlossen, Museumsshop geöffnet

Kampfansage an die Pariser Zentralmacht: In Frankreichs Kultur regt sich Widerstand gegen die Verlängerung des Lockdowns.

„Es geht um unser Menschsein“. Das steht, pathetisch genug, am Ende eines Briefes, den der Lyoneser Bürgermeister, der Grüne Grégory Doucet, gemeinsam mit weiteren Verantwortlichen der Region an den Premierminister Jean Castex gerichtet hat.

In diesem Schreiben kündigt er nichts weniger an als den Ungehorsam Lyons gegenüber der vom Premier angekündigten Entscheidung der Zentralmacht vom 10. Dezember. Zwei ihrer Museen will die Rhonestadt trotz des Kulturlockdowns öffnen, sollte Castex seine Entscheidung nicht zurücknehmen.

Eine Kampfansage an die Zentralmacht

Das ist eine offene Kampfansage an die Zentralmacht. Die hatte verfügt, dass Kultureinrichtungen über den 15. Dezember hinaus für weitere drei Wochen geschlossen bleiben.

Frankreich hat seine heftige zweite Welle anders als Deutschland durch einen konsequenteren Lockdown deutlich gebrochen, das selbst gestellte Ziel von höchstens 5000 täglichen Neuinfektionen aber nicht erreicht.

Auf die Wiedereröffnung ab dem 15. Dezember und auf die auch im Nachbarland besucherstarke Weihnachtszeit hatten sich die Kulturhäuser gut vorbereitet.

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Dass sich die Menschen in überfüllte Metrozüge drängen und in Einkaufstempel strömen, nicht aber die gut gesicherten und überwachten Ausstellungen und Theater besuchen dürfen, will die Szene in der Kulturnation nicht akzeptieren.

Sie demonstriert an der Place de la Bastille, schreibt Protestnoten und formuliert einen Antrag ans oberste Verwaltungsgericht der Republik, den Conseil d’État. Man kann nicht verstehen, warum die selbstbewusste Kulturnation, die gerade dabei ist, ihr Laizitätsgesetz zu verschärfen, die Kultur abwürgt und Versammlungen in Kirchen zulässt. Dort müssen allerdings auch, ähnlich der Berliner Theaterregelung vor dem Lockdown, immer zwei Nachbarplätze frei bleiben und nur jede zweite Reihe darf belegt werden.

Der Kulturministerin bricht das Herz

Ihr breche es das Herz, sagte Kulturministerin Roselyne Bachelot angesichts des fortgesetzten Kulturverbots im Nachrichtensender BMFTV, gab gleichwohl bekannt, dass sie die Kabinettsentscheidung mitträgt und kündigte an, nach diversen schon beschlossenen Kulturhilfen weitere 36 Millionen für die gebeutelte Kulturszene nachzuschießen.

Regionalpolitiker, denen die Coronapolitik in Frankreich nur nachgeordnet obliegt, können sich eine kompromisslosere Haltung in Kulturfragen erlauben. Im Pariser Rathaus wird bedauert, dass Macrons Regierung die geringe Infektionsgefahr in den Kulturhäusern für ihre Entscheidung nicht berücksichtigte. Sie strebt Abstimmung mit der Zentralmacht an, um das zu ändern.

Lyon will trotzdem Museen öffnen

Die Lyoneser Initiative kündigte an, sollte Premierminister Castex auf ihr Schreiben nicht reagieren, am kommenden Wochenende das Musée Lugdunum und das Musée des Confluences dem Regierungsentscheid zum Trotze zu öffnen. „Wir haben den Eindruck, dass die Kultur nur als Spielball der Krisenverlautbarung dient“, sie diene allenfalls als Signal, um deutlich zu machen, dass die Lage ernst ist und die Regierung zu harten Maßnahmen bereit ist.

„Die Entscheidung des Staatschefs, die Orte der Andacht offen und Theater und Kinos geschlossen zu lassen, ist beschämend und ungerecht. Sie trifft vor allem junge und prekäre Künstler. Sie trifft sie mit dem schrecklichen Gefühl der Verachtung und Ungerechtigkeit.“ So heißt es in einer Mitteilung eines Pariser Theaters.

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Auch der Verband der öffentlichen Theater unterstützt einen Antrag beim Conseil d’État, der grob dem Bundesverwaltungsgericht entspricht. Der Antrag hat zum Ziel, die Freiheit auf kulturellen Ausdruck gegen die Regierungsverordnung zum Recht zu verhelfen. Die Lyoneser Politiker ärgert derweil ein bezeichnender Umstand: Während ihr Musée des Confluences geschlossen ist, bleibt der Museumsshop geöffnet.

Frankreichs Kultur gibt den Konsens auf

Eine konsumistische Zivilisation beklagen die Corona-Sezessionisten, die gesellschaftliche Ungleichheiten nicht beseitigt. Ihr Brief an Premier Jean Castex zitiert Albert Camus aus seiner berühmten Stockholmer Rede über Kunst und Freiheit anlässlich der Verleihung der Nobelpreises 1957: „Jede Generation sieht zweifellos ihre Aufgabe darin, die Welt neu zu erbauen. Meine Generation jedoch weiß, dass sie sie nicht neu erbauen wird. Aber vielleicht fällt ihr eine noch größere Aufgabe zu. Sie besteht darin, den Zerfall der Welt zu verhindern.“

Es war bei all den Widersprüchen nicht anders zu erwarten: Frankreichs Kultur erklärt sich in der Coronakrise für unverzichtbar und gibt Gehorsam und Konsens auf.

Eberhard Spreng

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