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DJ Hell und Jonathan Meese im Aufnahemstudio.

© Jan Bauer

Techno-Pionier, Maler und Mama: Neues Album von DJ Hell und Jonathan Meese

Keine Angst vorm Rückwärts-Lachen: DJ Hell und Jonathan Meese haben gemeinsam ein Elektro-Album aufgenommen. Mit dabei: Meeses 91-jährige Mutter Brigitte.

Es beginnt mit der Angst und endet mit der Liebe. So weit alles rund auf dem neuen Album von DJ Hell und Jonathan Meese. Der Techno- und Houseproduzent Hell und der Maler Jonathan Meese, zwei Granden ihrer Zunft, haben zusammen ein Album aufgenommen. „Hab keine Angst, hab keine Angst, ich bin deine Angst“, lautet der Titel.

Die Worte klingen sehr nach Meeses tautologischer Kunst-Philosophie, und die Musik klingt sehr nach DJ Hell. Beide bleiben sich treu.

Es ist nicht die erste Kooperation zwischen ihnen. Als Hell vor zwei Jahren bei Jonathan Meese anfragte, ob dieser das Cover für sein neues Album „House Music Box“ gestalten wolle, sagte Meese sofort zu. Es ergaben sich ein paar gemeinsame Sessions im Trixx-Studio am Berliner Moritzplatz und beim Release seines neuen Albums im Dezember 2020 verriet Hell auch gleich, dass da noch mehr entstanden sei.

Techno, Chicago-House und Neue Deutsche Welle

Neun Tracks sind nun auf dem „Meese X Hell“-Album versammelt, das am 19. März erscheint (Buback Records). Die ersten Nummern der Platte sind treibender DJ-Hell-Techno, so wie der Musiker ihn in den 1990er Jahren in Clubs wie dem Münchner Ultraschall auflegte, wo alle stampften und tanzten bis der Schweiß von den Fliesen tropfte.

Dann gibt es rundere Chicago-House- Tracks und Stücke, die mit Meeses Sprechgesang an Kraftwerk oder die Düsseldorfer Formation DAF erinnern, Bands, die Hell und Meese gleichermaßen verehren.

Die drei Freunde Jonathan Meese, Brigitte Meese und Hell bei Aufnahmen im Tonstudio.

© Jan Bauer

„Dr. No“ heißt der Neun-Minuten-Einstiegstrack, bei dem Meese in einer monotonen Beschwörung die Rückkehr Doktor Nos verkündet, während Hell einen druckvollen Technobeat kredenzt.

Die Arbeitsteilung ist klar: Hell ist für die Sounds verantwortlich, Meese improvisiert Lyrics und Stimme. Originell will der Maler dabei nicht sein, er tut, was er auch sonst in seinen gleichermaßen bewunderten wie gehassten Performances tut, er macht eine Art Realitätsaustreibung mittels Dada-Poesie.

Meeses Botschaft von der Diktatur der Kunst

Hell hat Meeses Texte einfühlsam gesampelt, das enervierende Brüllen, das man aus den Performances kennt, weicht einem repetitiven Sprechgesang.

„Ich habe seine Text-Performances wie Rohmaterial betrachtet, das ich neu zusammensetze. Große Freude bereitete es mir etwa, an einer Stelle sein Lachen rückwärts abgespielt in einen Track zu übernehmen“, sagt Hell.

Das Album erscheint auch als limitierte LP-Edition und CD-Version in Digipak. Hier ein Blick ins Booklet.

© Buback Records

In „Notwendigkeit“, dem zweiten Stück der Platte, unterlegen pumpende Drumbeats Meeses Botschaft von der notwendigen Kunst, die niemandem gefallen muss, nicht mal Meese selbst.

Das Ganze wird in „Kunst ist Chef“ weiter vertieft, indem Kunstmarktverächter Meese, der inzwischen ein eigenes kleines Imperium aufgebaut hat, seine Botschaft von der „Diktatur der Kunst“ mit eingängigen Drei- Wort-Sätzen zementiert.

Brigitte Meese am Mikrofon

Special Guest ist Meeses 91-jährige Mutter Brigitte, die in Leben und Werk des Künstlers seit seiner Studienzeit in Hamburg eine wichtige Rolle spielt. Sie ist immer dabei, sitzt in Meeses Großatelier, wenn er malt, begleitet ihn zu seinen Performances, nur wenn er den wilden Mann spielt oder in seiner Hitlergruß-Attitüde auftritt – wofür Meese schon mal angeklagt und freigesprochen wurde – bleibt sie weg.

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Brigitte Meese tritt mit ihrer geheimnisvollen Stimme in den Tracks, „Power of Love“ und „Erzliebe“ auf. „Liebe ist ein Rohstoff für das Leben“, sagt sie in „Erzliebe“. Das klingt sehr souverän. Der ruhigste und melodiöseste Song bildet den Abschluss des Albums und schließt den Kreis. Die Kunst hat das Ruder übernommen, die Liebe darf fließen.

Hell und Meese arbeiten beide gegen die Angst, der eine mit spontaner, gestischer Kindermalerei, der andere mit Musik. Was ist der Sinn des Lebens, wurde Hell kürzlich bei einem TV-Interview gefragt. „Die Liebe“, war seine Antwort. Und Jonathan Meese, dessen totalitären Kunstbegriff viele nicht verstehen, hat dieselbe simple Message: Man muss Wunden und Schmerz mit Liebe füllen. Kein Wunder, dass die beiden sich schätzen.

Der Plüschwolf muss mit ins Studio

Es gibt noch eine Gemeinsamkeit: Beide werten wenig. Das bedeuten auch, es gibt für sie kaum Musik, die gar nicht geht. DJ Hell ist eklektizistisch unterwegs, vermengt Techno, House, Minimal, Italo-Disco und R&B. Musikfan Meese hört Abba, Beatles, Anita Ward und Wagner. In seinen Bildern zitiert er deutsche Mythen, Nazitum und Pittiplatsch.

Auf der Platte werfen Hell und Meese ihre Interessen einfach zusammen, ohne sie groß zu verschmelzen. Das müssen sie auch nicht. Es passt.

Auf einem Promobild sieht man die beiden im Studio, DJ Hell mit weißblondem Haar und dunklen Klamotten, Meese mit dem üblichen Adidas-Drei-Streifen-Trainingsjacke, Stoffbeutel und einem großen Plüschwolf im Arm. Der 50-Jährige hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Stofftiere sammelt und seinen plüschigen Gefährten auch in seine Kunstproduktion miteinbezieht.

Hardcover-Künstlerbuch als Edition

Ach ja, und dann ist da noch das Künstlerbuch, das zu einer, zusätzlich zum streambaren Album erhältlichen limitierten LP-Edition gehört. Es ist ein Hell-Jonathan-Brigitte-Freundschafts-Buch, mit Collagen der drei und Plattencovern von DAF.

Warum das Ganze mit Fotos von DDR-Jungpionieren und Volkspolizisten beim Bürgertreff bestückt ist, obwohl ja weder Hell, der aus dem bayerischen Altenmarkt kommt, noch Meese, der in Japan zur Welt kam und in Ahrensburg aufwuchs, eine DDR-Kindheit hatten, bleibt nebulös.

„Das Alte raus und das Geile rein“, ist einer von Meeses Leitsprüchen, um die transformatorische Kraft der Kunst zu erläutern. Das erklärt schon viel.

Man wird die Platte nicht kaufen, um sie nebenbei beim Kochen zu hören, aber man wird sie haben wollen, vor allem wenn man Jonathan Meese mag. Und vielleicht, um in bestimmten Momenten die Realität wegzutanzen.

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