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 Im revolutionären Habitus versuchen sich Kathrin Angerer, Katrin Wichman, Martin Wuttke, Bernd Moss und Jeremy Mockridge an eine große Sache zu erinnern.

© Arno Declair

Neues Stück von René Pollesch in Berlin: Venus im Faulpelz

Schwacher Saisonstart: René Polleschs „Melissa kriegt alles“ am Deutschen Theater

Große Schatten werfen ihre Ereignisse voraus. Oder so ähnlich. In einem Jahr soll René Pollesch als Intendant der Volksbühne ein neues Experiment beginnen. Jetzt aber eröffnet er am Deutschen Theater eine Spielzeit der unbekannten Art. Der Raum hat schon einen anderen Klang, das merkt man gleich. Und gefühlt ist jede zweite von den übriggebliebenen Plätzen von einem Kritiker oder einem Theaterangehörigen besetzt. Es ist eine Atmosphäre wie bei einem Vorsprechen. Oder wie eine Theaterprobe, noch meilenweit von der Premiere entfernt.

Der neue Pollesch-Text ist insofern der alte, als er Theaterhistorisches (Brecht, Weigel, Bayreuth) mit perfomativer Theorie, Filmschnipseln und angelesener Gesellschaftsanalyse verquirlt. Also, „das Problem an ,Die Mutter’ von Brecht ist, dass der Abend nicht ,Die Revolutionärin’ heißt.“ Da kann man nur sagen – der hat Probleme. Während draußen die Pandemie-Pegida aufmarschiert, spielt die Pollesch-Truppe im zwangsentleerten Saal ein Stück, das sich mit Stich- und Reizworten wie Revolution, Banküberfällen und Pizza, Brecht und Trance um die eigene Achse dreht.

Corona kommt nicht vor

Das Problem, das man damit in diesen Zeiten haben kann, ist nicht, dass Pollesch das Virus-Thema meidet und in der eigenen Blase bleibt. Problematisch an diesen anderthalb Stunden ist vielmehr, dass die Pollesch-Welt so uninteressant und schlaff noch nie war. Also doch ein Covid-Tribut?

Martin Wuttke kommt mit langem, strähnigem Haar und Vollbart aus der Pandemiepause, rauchend wie immer. Am Anfang kaum zu erkennen in seiner Pelzverkleidung (Kostüme: Tabean Braun). Kathrin Angerer trägt ein superkurzes rotes Kleid und Revoluzzermütze und bleibt ihrem Mädchenschema treu. Bernd Moss, mit steifem Stalinschnurrbart, schweigt die meiste Zeit bedrohlich, Jeremy Mockridge und Franz Beil probieren diesen und jenen Aufzug und allerlei Posen aus. Ein komisches Casting mit verflossener Rotfrontromantik und Gedächtnislücken; wann starb Lenin?

Gangsterfilmset, revolutionäre Wohnung: das Boulevardbühnenbild von Nina von Mechow mit den häufiger mal umkippenden, mit Hammer und Sichel verzierten Wänden, die von Bühnenarbeitern mit Schutzmaske wieder aufgerichtet werden, verrät auch nicht viel. Und wer ist Melissa? Will das jemand wissen?

Weiß einer, worum es hier geht?

Es kommt bei Pollesch ja nicht so darauf an. In anderen Produktionen hat man auch das Thema oder die Story oder die Reflexionsebene nicht wirklich begriffen, aber es konnte mitreißend sein, verwirrend gut. Oft auch romantisch und zart, wie beim Solostück von Fabian Hinrichs im Friedrichstadt-Palast. Hinrichs wurde für diesen Auftritt von „Theater heute“ zum Schauspieler des Jahres gewählt. Pollesch, Sutor und Regisseur und dann auch bald Theaterleiter, liebt das Kino und das Entertainment, und diesmal steht er damit allein.

Nichts zündet, die Atmosphäre ist deprimierend. Das soll das Wiedersehen nach der Corona-Pause sein? So melancholisch, müde und desorientiert? Könnte es sein, dass wir das Ausmaß der Krise noch überhaupt nicht begriffen haben – wenn eines der führenden Häuser des Landes mit einer solchen Implosion wiedereröffnet?

Gegen Ende machen sich die Akteure gegenseitig Komplimente, wie toll sie aussehen, wie Anna Karenina usw. Im Text herrscht, kaum verborgen, eine seltsame Traurigkeit, Unsicherheit, und man fragt sich: Mehr ist euch nicht eingefallen in all der Zeit, in diesem geschützten und privilegierten Raum des Theaters? Im Nu ist die Wiedersehensfreude weg, und das tut weh. Was hatte man denn erwartet nach all den Monaten mit oder ohne Streaming? Ein Feuerwerk? Jedenfalls nicht ein Stück, das eher ein Ende als einen Anfang beschreibt.

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