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Das Künstlerkollektiv Masbedo flirtet in seiner Inzenierung von „Il diluvio universale“ mit Weltuntergangsbildern. 

© GFR

Opern-Festival in Bergamo: Nach dem Rave die Sintflut

Das Donizetti Opera Festival in Bergamo ist dem bekanntesten Sohn der Stadt gewidmet. Und geht der Frage nach, wie der Komponist Gaetano Donizetti mit unserer Gegenwart kommuniziert.

Gehirn ausschalten und die Lautstärke hochdrehen, so fliehen viele Clubgänger aus der Realität und tanzen die Nächte durch, haben schnellen Sex im Darkroom. So geht es auch Lucia und Lu, den Hauptfiguren im OpeRave, mit dem das Donizetti-Festival in Bergamo eröffnen wurde. Das Opernpublikum tanzt zu den Sets von DJ Ilromantico, unterbrochen von der Entertainerin H.E.R. und den sechs Erinnerungsszenen aus dem Leben von Lu.

Schlüsselszenen aus „Lucia di Lammermoor“ werden mit elektronischer Musik und Italo-Pop kombiniert, die wilde Lucia, verkörpert von der Opernsängerin Laura Ulloa, wird mit Ofenhandschuhen und Teppichklopfer für ein Leben als Hausfrau und Mutter ausstaffiert. Der genderfluide Außenseiter Lu, ausdrucksstark von David Blank gesungen, identifiziert sich zwar mit der Opernfigur, kann ihr aber auch nicht helfen.

Partyvolk und Opernfans

Wie schon Gaetano Donizetti den Stoff der „Braut von Lammermoor“, einem Roman von Walter Scott, entnahm und mit seinen Mitteln neu erzählte, nimmt auch das Kollektiv Maniaci d’Amore die Handlung der Oper, um sie ins Heute zu übersetzen. Partyvolk und Opernfans jubeln und tanzen bei 120 bpm, virtuos versetzt mit Belcantofetzen.

Auch in der Sintflut-Oper „Il diluvio universale“ liegt der Gegenwartsbezug auf der Hand: Eine dekadente Gesellschaft wird ausführlich vor den Folgen ihres Tuns gewarnt, macht aber zu den fröhlichsten Melodien munter weiter bis ein gottgesandter Klimawandel die gesamte Bande wegspült.

Das Künstlerkollektiv Masbedo setzt auf den exzessiven Gebrauch von Videos, in denen Wild ausgeweidet wird, Naturkatastrophen zu sehen sind – oder das Geschehen an einer festlichen Tafel. Die Bilderflut täuscht allerdings darüber hinweg, dass diese handlungsarme Oper sehr moralisierend auf der Stelle tritt.

Schon das Publikum der Uraufführung in Neapel 1830 war davon irritiert, auch die heutigen Opernfans möchten die aktuelle Botschaft lieber nicht zur Kenntnis nehmen und buhen das Regieteam gnadenlos aus.

Allerdings hat Dirigent Riccardo Frizza die Partitur bestens im Griff, Nahuel Di Pierro gibt einen profunden Noah, der Tenor Enea Scala singt diszipliniert und nuanciert mit strahlender Höhe. Letztlich kann aber auch das Werk bei der Wiederbegegnung nicht überzeugen.

Rossinis Einfluss ist spürbar

Ganz anders fällt die Bilanz bei „Alfredo il Grande“ aus, einem der zahlreichen Sorgenkinder des fleißigen Komponisten. Ebenfalls für Neapel komponiert, beschwerte sich Donizetti ausgiebig über das schlechte Libretto, die kaum nachvollziehbare Handlung voller Zufälle und schrieb doch unerhört inspirierte Musik. Das Vorbild Rossini ist zwar noch spürbar, aber immer wieder fallen ihm harmonische Wendungen ein, die noch heute verblüffen.

Apokalyptisches Szenenbild aus „Il diluvio universale“. 

© GFR

Er schrieb Melodien von unübertroffener Eleganz, die der Tenor Antonino Siragusa unter dem Dirigenten Corrado Rovaris überaus abwechslungsreich präsentiert. Gilda Fiume ist seine Gattin Amalia, die mehrmals geraubt und vom liebenden Gatten befreit wird. Ihr fällt auch das virtuose Schlussrondo zu, in dem sie mit Orchester und schmetternder Bühnenmusik ihre gesangstechnische Sicherheit bravourös zur Schau stellen kann.

Regisseur Stefano Simone Pintor nutzt für seine mittelalterliche Bildwelt ebenfalls die bühnenfüllende Videowand, aber weniger aufdringlich als seine Kollegen in „Il diluvio universale“. Dadurch wird „Alfredo“ zwar nicht zum Meisterwerk, aber gerade hier liegt die Aufgabe der Komponistenfestivals: Sie befragen auch die seltener gespielten Partituren und setzen sie in den Kontext des Gesamtwerks. Das wollte jedoch bei der französischen Fassung der „Lucie de Lammermoor“ nicht funktionieren.

Regisseur Jacopo Spirei verbiegt die Handlung zum Femizid-Drama, was schon deshalb nicht klappt, weil hier ausnahmsweise mal die Frau den Mann umbringt. Wenn dann noch die indisponierte Lucia nach der Hälfte aufgibt und das Originalklangensemble Gli Originali mit der Partitur deutlich überfordert ist, wird es zum Sinnbild des Abends, dass der stimmschöne Tenor Patrick Kabongo seinem Leben an einem ausgebrannten Autowrack ein Ende setzt.

Doch schon am nächsten Morgen wird die Scharte wieder ausgewetzt, als der vielversprechende Nachwuchs in Donizettis Geburtshaus dessen witzige, charmante und melancholische Lieder singt. Die Vokale sitzen beneidenswert offen, die Effekte sind geschmackvoll dosiert, und selbst wenn die Eleven den verschmitzten Humor des einen oder anderen Liedes noch nicht ganz verstanden haben, beherrschen sie doch die schönsten Gesten aus 500 Jahren italienischer Operngeschichte. Und haben keine Hemmungen, diese einzusetzen. Die Zeichen stehen also gut, dass Festivalintendant Francesco Micheli die Werke Donizettis weiterhin erfolgreich in die Gegenwart bringen kann.

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