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Eine Tänzerin der Gruppe Paper Tiger Theater Studio vor dem „Machang“-Bild.

© David von Becker

Performance im Humboldt Forum: „Dieses Bild ist wie ein Pfeil“

Ein Rollbild aus dem 18. Jahrhundert als Inspiration: Tian Gebing, Regisseur der Paper Tiger Theatergruppe, zur Performance „Revolution. Stachel im Fleisch“.

Herr Tian, für die Tanz-Theater-Performance „Revolution. Stachel im Fleisch“ haben Sie sich von einer chinesischen Querrolle aus dem Bestand des Museums für Asiatische Kunst inspirieren lassen. Was fasziniert Sie an dem Bild „Machang durchbricht die feindlichen Linien“ aus dem Jahr 1759?
Dieses Bild ist für mich wie ein Pfeil, der aus der Vergangenheit abgeschossen wurde und uns im Heute trifft. Es zeigt, ungewöhnlich für die chinesische Kunst, eine Szene, einen präzisen Moment aus einem Feldzug, den der chinesische Kaiser Qianlong gegen die Dzungaren im heutigen Xinjiang führte: Ein kaiserlicher Offizier verfolgt auf seinem Pferd einen dzungarischen Reiter und tötet ihn, indem er Pfeile auf ihn abschießt.

Und was hat das mit Heute zu tun?
Wenn man dieses Bild betrachtet, werden viele transkulturelle Bezüge, viele Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart deutlich. Der Kaiser hat das Bild als Propagandabild anfertigen lassen, um seine Eroberungen in Zentralasien zu feiern. Gemalt wurde es von einem Italiener und seinem chinesischen Team: von dem Jesuiten Giuseppe Castiglione, der seit 1714 am Kaiserhof lebte. Deswegen finden sich darin sowohl Elemente des chinesischen als auch des europäischen Malstils.

Das Rollbild „Machang durchbricht die feindlichen Linien“ aus der Sammlung des Museums für Asiatische Kunst.
Das Rollbild „Machang durchbricht die feindlichen Linien“ aus der Sammlung des Museums für Asiatische Kunst.

© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst

Unsere Tänzer:innen und Schauspieler:innen entwickeln ein assoziatives Panorama rund um die Maskeraden des Kaisers im 18. Jahrhundert.

Tian Gebing, Theaterregisseur 

Das Bild hing viele Jahre lang im kaiserlichen Sommerpalast bei Peking …
Wie es ins Museum für Asiatische Kunst kam, ist noch nicht genau bekannt: Der Palast wurde 1901 geplündert, als acht Nationen, darunter Deutschland, den „Boxeraufstand“ in China niederschlugen. Vermutlich ist das Bild in diesem Zusammenhang geraubt worden und auf den Schwarzmarkt gelangt. 1914 jedenfalls war es im Besitz eines Hamburger Kunsthändlers, der es an das Berliner Museum verkaufte. Und jetzt hängt das Bild im Humboldt Forum, hinter den wiederaufgebauten Fassaden des preußischen Schlosses, und ist gewissermaßen ein Stachel im Fleisch, mit dem wir uns künstlerisch auseinandersetzen.

Wie tun Sie das?
In einem der zwei großen Säle des Humboldt Forums haben wir einen großen runden, mit Silberfolie bespannten Tisch aufgestellt. Er symbolisiert gleichzeitig einen Verhandlungstisch und ein Element der chinesischen Kosmologie, den rund gedachten Himmel. Auf diesem „Tisch der Geschichte“ bewegen sich unsere Tänzer:innen und Schauspieler:innen, die aus acht verschiedenen Nationen stammen.

Es ist etwas Besonderes, eine solche Performance im Gebäude des ehemaligen Hohenzollern-Schlosses aufzuführen. 

Tian Gebing, Theaterregisseur 

Sie entwickeln ein assoziatives Panorama rund um die Maskeraden des Kaisers im 18. Jahrhundert, den Aufstand, die Plünderungen und den Schwarzmarkt für Kunstwerke. Gleichzeitig läuft eine Breitwand-Videoprojektion mit historischen Bildern aus China und Europa, darunter natürlich auch das Bild vom Kriegshelden Machang.

Kaiser Wilhelm II hat in seiner berühmten „Hunnen-Rede“ im Juli 1900 die deutschen Soldaten zu besonderer Grausamkeit bei der Niederschlagung des Aufstands ermuntert.
Einer unserer Performer singt Auszüge aus dieser Rede: „Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht …“ Es ist etwas Besonderes, eine solche Performance im Gebäude des ehemaligen Hohenzollern-Schlosses aufzuführen.

Und wir befinden uns ja auch am Ort des Palasts der Republik: Zu unserem Team gehört Hans-Jürgen Schreiber, ehemaliger Restaurant-Leiter im Palast der Republik und Zeitzeuge von Honeckers Chinareise 1986. Auch ein Skateboarder, eine japanische DJ und eine Perkussionistin sind beteiligt. Es ist ein vielschichtiges Bühnengeschehen, das den Raum öffnet für Verbindungen und Bezüge zwischen den Kulturen, die man nicht erwarten würde.

Auch das Publikum bewegt sich …
Die Zuschauenden sitzen auf Hockern, die sie bewegen können, und wir bieten ihnen Kostüme an, mit denen sie sich verkleiden können. Wir möchten, dass sie aktiver Teil der Maskerade werden und nicht nur Bilder und Performance aufnehmen. Wir sind ja alle Teil der transkulturellen Geschichte, nicht nur Beobachter:innen.

Paper Tiger Theater im Humboldt Forum im Berliner Schloss.
Paper Tiger Theater im Humboldt Forum im Berliner Schloss.

© Stefanie Loos | Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss

Sie haben das „Paper Tiger Theater Studio“ Ende der 1990er Jahre in Peking gegründet und Kooperationsprojekte weltweit, u.a. mit den Münchner Kammerspielen und dem Hamburger Thalia Theater, durchgeführt. Warum der Name „Paper Tiger“?
Es greift ein bekanntes Mao-Wort auf. Mao hat Imperialisten, gemeint waren vor allem die USA, als „Papiertiger“ bezeichnet. Wir spielen mit diesem Titel darauf an, dass es Menschen und Systeme gibt, die sehr stark erscheinen, aber in Wirklichkeit sehr fragil sind.

Ließe sich das womöglich auch auf die aktuelle chinesische Regierung anwenden?
Wir verstehen den Namen allgemeiner: Es geht uns darum, dass auch stark erscheinende Institutionen, egal wo, schwach sein können, dass wir hinter die Oberflächen blicken sollten.

Sie leben seit 2019 in Berlin. Könnten Sie „Revolution. Stachel im Fleisch“ heute in China aufführen?
Das wäre kompliziert. Dass wir seit über 20 Jahren immer wieder Schwierigkeiten haben, hat sehr viele Gründe, die meisten davon sind von uns selbst gewählt. So kann es einem eben gehen, wenn man sich einen Weg aussucht, den nur wenige gehen. Aber auf der anderen Seite gewinnt man dadurch einen alternativen Raum. Das ist für uns der Sinn von Theater.

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