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© Universal

Neues Album: Element of Crime: Im Alka-Seltzer-Land

Schleppende Beats, Wehmut und Weisheiten wie „Wer nicht geht, kommt nie wieder, wer bleibt, ist nie weg" - das ist das 13. Album der Rockband Element of Crime. Alles wie immer also. Ist das nicht schön?

„Ich habe fast mein ganzes Leben mit diesem Rhythmus verbracht.“ Richard Pappik, von Beruf Schlagzeuger, ahmt ihn nach: Bam Badambam Bam-Bam – der alte Bo-Diddley-Groove. Unverwechselbar. „Urwüchsig“, sagt Pappik zu dem merkwürdig stolpernden, eiernden Beat, der sich auf dem neuen Album der Berliner Band Element of Crime unter dezent tröpfelnden Trommelschlägen auflöst. Man hört ein Akkordeon im Hintergrund atmen, sehr hastig ein und aus, die Gitarre rumpelt und schleift wie ein altersschwaches Fahrgestell und Sven Regener, von Beruf Sänger, motzt: „Kopf aus dem Fenster, und Arme aufs Brett / Und dann: Scheiß auf den Kaktus / Der ist böse und heiß und ich fett und verdorben / Und du so nett.“ Und man weiß sofort: Alles wie immer. Ist das nicht schön?

In der Popmusik ist Verlässlichkeit eine unterschätzte Konstante. Neu soll Musik sein, böse und heiß. Aber nicht wie etwas, das man schon vor dem ersten Hören in- und auswendig zu kennen meint. In diesem Sinne sind Element of Crime, 1985 gegründet, von jeher ein Anachronismus. Nicht erst alt geworden, sondern immer schon antiquiert in dem Bemühen, Songs mit einem gewissen Anspruch ans Kunstvolle zu schreiben und so aufzunehmen, dass noch die liebevollste kleine Verzierung hörbar bleibt. Aufregend klingt anders, wenn es auch kaum Musiker hierzulande gibt, die ähnlich routiniert spontan sind. Obwohl nach eigenem Verständnis eine Rockband, haben Sven Regener, Gitarrist Jakob Friderichs, Richard Pappik an den Drums sowie Langzeitproduzent und Bassist David Young nie einfach losgerockt, nicht die Sau rausgelassen oder sonst was getan, um laut und jung oder eben böse und heiß zu sein.

Wieder dominieren schleppende Beats, verwehende Akkorde, chansoneske Wehmut

Da macht auch „Immer da wo du bist bin ich nie“, das 13. Album von Element of Crime, keinen Unterschied. Ein bisschen roher und aggressiver ist es geworden. Aber wieder dominieren schleppende Beats, verwehende Akkorde, chansoneske Wehmut. Weisheiten wie „Wer nicht geht, kommt nie wieder, wer bleibt, ist nie weg“ tun ein Übriges für das Element-of-Crime-Gefühl, diesen schwebend ungreifbaren Zustand zwischen Unglück und Selbstaufgabe, den Regeners rauer Bariton heraufbeschwört. Egal, was passiert, lautet das Credo, „der liebe Gott liebt dich / Und wenn nicht, dann bin ich noch da“. Diese Gewissheit aus dem Song „Deborah Müller“ pflanzt Regener mit Macht ins Zentrum seiner Welt und stemmt sich gegen die Melancholie der mit wenigen Strichen hingeworfenen Einsamkeitsbilder. Seine Figuren sind Loner, nur zufällig angebunden an gesellige Momente wie jenen, da besagte Titelheldin Deborah Müller in einer Kneipe „wie ein edles Pferd“ angefeuert wird, „das mit zwei Längen Vorsprung durchs Ziel spaziert und dann stolpert und fällt“. Am nächsten Morgen ist sie allein, während der Rest der Pichelrunde seinen Rausch „im Alka-Seltzer-Land“ ausschläft.

Es gibt ein Drama des Beginns und eins des Endes. Element of Crime siedeln Songs zwischen emotionalen Exzessen an, mit erheblicher Sympathie fürs Nichtmehrhinkriegen – aber bevor das Ende einer Liebe unabwendbar ist. „Solange die traurigen Dinge nicht endgültig sind, kann man sie ausdrücken“, sagt Regener im Gespräch. Dass der Sängerschriftsteller als Erfinder des Herrn Lehmann in seinen Songs zunehmend wagemutiger mit literarischen Motiven umgeht, ist deutlich herauszuhören. Nicht, dass er nicht auch zuvor, vor allem auf dem nach zwanzig Jahren Bandexistenz ersten Hitparaden-Album „Mittelpunkt der Welt“ (2005), erzählerisch mit der Sprache umgegangen wäre. Aber nun ist er meisterhaft darin, Gedanken und Beobachtungen über Zeilen hinweg zu strecken. „Dass das Bier in meiner Hand alkoholfrei ist“, heißt es in "Kaffee und Karin“, "ist Teil einer Demonstration/ gegen die Dramatisierung meiner Lebenssituation/ Doch andererseits sagt man: Das Schweinesystem sei auf nüchterne Lohnsklaven scharf,/ darum steht da auch noch ein Whisky, weil man dem niemals nachgeben darf.“ So lapidar solche Texte das postlinke Lebensgefühl erschlaffender Kämpfer schildert: Assoziativer hat Regener das alltägliche Hadern, Streiten und Zaudern nie in Worte gefasst. Wunderbar, ihn von „mondlosen Nächten“ erzählen zu hören, in denen ein Windstoß alte Erinnerungen wie einen Papierstapel aufwirbelt.

Genügend schöne Songs gibt es

Ob Nummer 13 auf der Albumliste an frühere Klassiker wie „Weißes Papier“ heranreicht, wird die Zeit erweisen. Genügend schöne Songs gibt es, um sich ins Leben einzuschleichen, wo Element of Crime plötzlich und meist völlig unerwartet als Soundtrack durch Berliner Kneipen und Bars geistert. Und, meine Güte, es ist schon wieder vier Jahre her, dass sowas das letzte Mal passierte. Denn Regener hatte wieder einen Roman zu schreiben, mit dem er seine Lehmann-Trilogie beendete, Jakob Friderichs schrieb zahlreiche Filmmusiken u.a. für "Dorfpunks" und "Die Schimmelreiter" von Lars Jessen. „Wenn wir aktiv sind, verdienen wir genug Geld um es uns leisten zu können, nur alle vier Jahre eine Platte zu machen“, sagt Regener.

Nachdem das Quartett 2007 die Filmmusik für Leander Haußmanns „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“ geschrieben hatte, fand sie umstandslos „in den Modus“ für eigene Stücke zurück, wie Regener sagt. Als zwei Songs fertig waren, ging man ins Studio und nahm sie auf. Danach machte man sich im Proberaum an die nächsten zwei und immer so weiter. Ziemlich viel Schlepperei bedeutete das, aber so bekam jeder Song genau die Behandlung, die er brauchte. Alarm und psychischer Stress täten dieser Band ohnehin nicht gut, die nie besser war als jetzt, am Rande zum Altsein. Geht es doch um Klänge, die ein Leben lang halten.

Natürlich drückt sich darin etwas zutiefst Konventionelles aus. Nämlich Zuversicht: „Große Gedanken, kleines Gehirn“, philosophiert Regener in der ihm eigenen schnarrenden Tonlage, „einer kommt weiter / Und der hat dich gern.“

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