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Moment der Verzweiflung: Alexey Sayapin (Rodolfo) und Jieun Choi (Mimì)

© Marlies Kross

Puccinis „La Bohème“ in Potsdam: Heiße Herzen, eiskaltes Händchen

Das Staatstheater Cottbus gastiert mit seiner „La Bohème“-Inszenierung im Potsdamer Hans Otto Theater: Stars des Abends sind Jieun Choi und Alexey Sayapin.

Jetzt müssten eigentlich Bravo-Rufe durch den Saal fliegen: Gerade hat sich Alexey Sayapin als Rodolfo seiner Nachbarin mit dem eiskalten Händchen vorgestellt, hat von seinem Leben als Dichter erzählt, leidenschaftlich, hingebungsvoll, mit tenoralem Schmelz und metallischem Glanz. Und sie hat schüchtern geantwortet, Jieun Choi alias Mimi, mit einem Sopran, der Wärme ausstrahlt, der innerlich leuchtet, auch noch im zartesten Pianissimo  

Es hat geknistert zwischen den beiden, aufkeimende Liebe war da zu hören, zärtlich und zögernd klang das, berührend und beglückend zugleich für die Zuhörerinnen und Zuhörer im ausverkauften Hans Otto Theater: Aus diesem zufälligen Zusammentreffen wird mehr werden als ein Flirt, davon kündet jeder Ton des berühmten Duetts aus Puccinis „La Bohème“.

Freundlicher Applaus umfängt die beiden fantastischen Solisten, die am Freitag den ersten Höhepunkt der Oper so anrührend, so authentisch, so aus jugendlichem Herzen überschäumend emotional gestalten, wie man es sich nur wünschen kann. Wir sind eben nicht in Italien. Und doch spürt das Publikum natürlich, dass hier zwei außergewöhnliche Begabungen auf der Bühne stehen.

Gruppenbild mit Poledance: Szene aus dem 2. Akt
Gruppenbild mit Poledance: Szene aus dem 2. Akt

© Marlies Kross

Das Staatstheater Cottbus gastiert mit dem Repertoire-Hit in der Landeshauptstadt – und Generalmusikdirektor Alexander Merzyn trägt die Protagonisten auf Händen. Sein Timing – so wichtig bei Puccinis gefühlsrealistischem Musiktheater – ist ideal, der Puls schlägt schnell, das Philharmonische Orchester spielt elegant, feinnervig, mit betörenden, pastelligen Klangfarben.

Aber nicht nur im Graben, sondern auch oben auf der Bühne ist eine echte Ensembleleistung zu erleben, vom quirligen Kinderchor über das energiegeladene, streitfreudige Paar Alina Tkachuk und Daniel Foki als Musetta und Marcello, bis hin zu den treuen Wohngemeinschafsgefährten Colline (Ulrich Schneider) und Schaunard (Nils Stäfe).

Echte Ensembleleistung

Schade nur, dass Regisseurin Claudia Meyer ihre Darsteller so wenig unterstützt. Gerade Jieun Choi und Alexey Sayapin hätten eine detaillierte Personenführung gut gebrauchen können - damit man das, was man hört, auch sehen kann. Nur wenige handwerklich gelungene Ideen steuert Meyer bei – wenn Rodolfo beispielsweise über dem Beipackzettel der Medizin verzweifelt, die Mimi nicht mehr helfen wird  -, meist aber überlässt sie die Solisten sich selbst in der rätselhaften Szenerie, die sie mit Konstantina Dacheva entworfen hat.

„Artisten in der Zirkuskuppel ratlos“ scheint das Motto zu sein. Die ärmliche Ausstattung mit ein paar Zeltplanen und roh gezimmerten Sitzreihen passt grundsätzlich zur prekären Existenz der Bohémiens - doch wer schlauer sein will als Puccini, der gewiefte Theaterpraktiker, muss schon mehr zu bieten haben als eine bloße optische Behauptung.

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